Gert Chesi: Klimaflüchtling im Doppelsinn
Durch seinen Rückzug aus dem von ihm gegründeten Museum der Völker hat sich Gert Chesi seine Freiheit teuer erkauft. Heute stellt er in Schwaz seinen neuesten Film vor.
Sie sind ein seltener Gast in Tirol. Warum machen Sie sich so rar?
Gert Chesi: Das ist ganz einfach. Ich bin ein „Klimaflüchtling“. Wenn es kalt wird, sinkt bei mir die Lebensqualität in den Keller und ich flüchte in die Wärme. Entweder nach Togo, wo ich meinen Hauptwohnsitz habe, oder nach Bangkok, den für mich idealen Ort, um den asiatischen Raum zu erschließen. Was ich im Moment sehr intensiv mache.
Zuletzt waren Sie ja in Neuguinea unterwegs, wo der Film entstanden ist, den Sie heute in Schwaz vorstellen.
Chesi: Das war alles andere als ein Wellnessurlaub. Trotz Äquatorlage war es bitter kalt, und das einzige offene Hotel war ungeheizt. In dem Film geht es um den radikalen Kulturbruch, der sich derzeit in Neuguinea abspielt. Denn zu glauben, dass es noch einen Ort auf der Welt gibt, wo es etwas komplett Neues zu entdecken gibt, wäre naiv. Der Erste ist man nie. Neu ist allerdings der Kulturbruch, der sich heute weltweit abspielt. Wenn etwa ein allein mit einem Penis-Futteral „bekleideter“ Papua-Mann vor seinem Gehöft oder mitten in der Stadt steht, eine Zigarette raucht und mit seinem Handy telefoniert.
Um diese Brüche wird es also in Ihrem neuen Film gehen?
Chesi: Auch. Aufhänger ist allerdings ein großes Fest, bei dem einmal jährlich 1000 Papuas aus allen Richtungen zu Fuß durch den Urwald gehen, um auf einem von keiner Straße erreichbaren Plateau rituell zu feiern. Rund 50 Ausländer waren bei diesem Spektakel dabei, hauptsächlich Filmemacher und Journalisten, Touristen im eigentlichen Sinn aber kaum. Gefeiert wird hier letztlich das Ende des Kannibalismus, dem die seit 1963 in Neuguinea wirkenden Missionare ein Ende gesetzt haben. Es ist ein Fest der Versöhnung nach jahrhundertelangen Kämpfen bzw. rituellem Kannibalismus. Was nicht heißt, dass nicht bisweilen noch immer jemand aufgegessen wird.
Etwa gleichzeitig wie der Beginn der Missionierung in Neuguinea waren Sie bei Albert Schweitzer in Afrika, wo sich auch Ihre Wandlung vom Fotografen zum Ethnologen vollzogen hat.
Chesi: Albert Schweitzer war in seinem Denken letztlich ein alter Kolonialist. Für ihn waren die Afrikaner „so liebe Leute, wie Kinder“, aber Verantwortung könne man ihnen keine übertragen. Die Geschichte hat ihn eindeutig widerlegt.
Ihr Aufenthalt in Schweitzers Krankenhaus in Gabun hat aber Ihre Sammelleidenschaft entzündet.
Chesi: Damals konnte man noch die schönsten Masken und Fetische direkt in den Dörfern erwerben. Diese sind inzwischen komplett ausgeplündert, heute geht alles über Händler. Der von einigen in Brüssel, London und Paris sitzenden großen Playern dominierte Markt mit Stammeskunst hat sich in letzter Zeit allerdings nicht zuletzt wegen der Restitutionsfragen stark verändert. Was dazu geführt hat, dass heute die Provenienz eines Objekts oft wichtiger ist als das Exponat an sich.
Aber gerade im Zusammenhang mit den Restitutionsforderungen kann man auch argumentieren, dass viele Objekte der Stammeskunst nur darum erhalten sind, weil sie von Europäern gesammelt und somit gerettet wurden.
Chesi: Ja, Museen hatten für die Afrikaner lange keinerlei Bedeutung. Das Objekt war nur so lange interessant, als es beseelt war. Sobald es aus dem Tempel hinausgetragen war, war es nur mehr ein Stück Holz. Erst seit Europäer Geld dafür ausgeben, werden sie nicht mehr vernichtet. Viele der Objekte wurden auch von lokalen afrikanischen Stammesfürsten oder Königen den Kolonialbeamten zum Geschenk gemacht. Die gerade im Zusammenhang mit Restitutionsfragen immer wieder aufgestellte Behauptung, dass alles gestohlen worden sei, ist sicher zu hinterfragen. Da gibt es viele Grautöne. In meiner Sammlung gibt es jedenfalls kein einziges Objekt mit zweifelhafter Provenienz.
Dabei handelt es sich allerdings zum größten Teil um Relikte inzwischen untergegangener Kulturen.
Chesi: Ja, oder solche, die sich wie bei Voodoo als Synkretismus weiterentwickelt haben. Wo sich traditionelle Elemente mit ganz neuen Ideen als schriller Ausdruck eines sehr lebendigen, sich ständig wandelnden Kulturbruchs vermischt haben.
Sammeln Sie nach wie vor? Einen großen Teil Ihrer Sammlung haben Sie ja vor 17 Jahren an einen Grazer Sammler verkauft.
Chesi: Und viel Geld dafür bekommen, weshalb ich mir immer wieder ein Stück kaufen kann. Ich bin offensichtlich als nomadischer Sammler und Jäger geboren. Wobei es mich immer wieder verblüfft, wie sehr sich die Objekte so ziemlich aller archaischer Kulturen gleichen. Haben doch alle Menschen prinzipiell das gleiche Problem, wenn sie nicht wie wir in geheizten Räumen sitzen. Sie fürchten sich vor der Natur, empfinden sie als existenzielle Bedrohung. Sie verhandeln mit den Göttern, bestechen sie mit Opfergaben.
Wenn Sie in Tirol sind, besuchen Sie dann das Museum der Völker in Schwaz, das Sie gegründet, lange geleitet und vor zwei Jahren freiwillig verlassen haben, nachdem Sie 1400 der musealen Objekte der Stadt Schwaz geschenkt haben?
Chesi: Ja, ich war gerade vor ein paar Tagen dort. Ist meine Entflechtung vom Haus doch nicht ganz einfach. Noch immer gibt es einige Ungereimtheiten in den Griff zu kriegen.
Das klingt nicht gut.
Chesi: Ja, leider wurden viele der getroffenen Vereinbarungen nicht gehalten. An meine Schenkung hatte ich natürlich einige Bedingungen geknüpft, etwa, dass das Haus in meinem Sinn weitergeführt wird. Auf Wunsch von BM Hans Lintner sollte ich dem Museum auch weiterhin als Konsulent zur Verfügung stehen. Meine Meinung war aber offensichtlich nicht mehr gefragt, was sich nun allerdings zu ändern scheint. Im kommenden Jahr soll etwa eine große Personale über mich im Museum der Völker stattfinden. Aber generell muss ich für die Entwicklung eigentlich dankbar sein. Habe ich mir damit doch meine absolute Freiheit erkauft.
Film
Gert Chesi präsentiert am Mittwoch um 20 Uhr im SZentrum Schwaz seinen neuen Film „Papua, Steinzeit und Moderne".
Das Interview führte Edith Schlocker