Von Joachim Leitner
Innsbruck – Glaubt man Joseph Zoderer, gilt ein Autor erst als Profi, wenn er ein eigenes Buch in Händen hält. So gesehen waren es zunächst einmal Amateure, die in den 1970er-Jahren Texte in österreichischen Literaturzeitschriften veröffentlichten. Manche sind es bis heute geblieben. Andere – darunter auch Zoderer – wurden werkausgabengestählte Profis. Absehbar waren die unterschiedlichen Karriereverläufe zunächst nicht.
Die Lektüre von „Austropilot“, eine von den Schriftstellern Xaver Bayer und Hanno Millesi zusammengestellte und herausgegebene Sammlung von Texten, die zwischen 1970 und 1980 in Zeitschriften wie das pult, Wortmühle oder den bis heute erscheinenden manuskripten abgedruckt wurden, führt auch das vor Augen: Manche der anregendsten, wüstesten und schärfsten Texte, die im „goldenen Jahrzehnt“ der Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden, stammen von Autorinnen und Autoren, die bis heute bestenfalls Geheimtipp blieben. Die 1974 im Alter von gerade einmal 20 Jahren gestorbene Margit Zadrovics zum Beispiel, deren Texte „Sonntag Nachmittag in Wien“ und „Stimmen aus dem Westlichen Teil des Ofens“ von ungezügelter Sprachkraft strotzen. Von einer „gemütlichkeit, die brechreiz verursacht“, schreibt Zadrovics. Und von der Ernüchterung, die sich einstellt, während man ein „stück kalbsleiche“ so lange zerkaut, bis die „ganze stadt rülpst“. Da bläst dem nachgeborenen Leser ein frischer Wind ins Gesicht, der einst das Potenzial zum Sturm in sich trug. Oder zum Föhn. So hieß eine Tiroler Zeitschrift, die ab 1978 erschien. Und manchem Landesoffiziellen – wie der gleichnamige Fallwind – Kopfschmerzen bereitete. Bei ihrer Arbeit haben sich Bayer und Millesi nur eine Vorgabe auferlegt: Alle noch greifbaren Ausgaben der rund 130 verschiedenen Zeitschriften – von staatstragenden Schaufenstern bis zum Untergrund-Hefterl – sollten auf hervorragende Texte abgeklopft werden. Nur die Besten kamen ins Buch. Egal, ob es die Verfasser später in den Kanon schafften. Diese selbstbewusste Subjektivität hat die Gefahr akademischer Vervollständigungsverpflichtung gebannt: Wen interessiert, was fehlt, wenn das, was da ist, so mitreißend und beseelt von Wortmacht und Wagemut ist?
Beinahe programmatisch scheint dabei Peter Roseis „Vinyl“, der den Band eröffnet: Die Musik, in diesem Fall „Run“ von Velvet Underground, gibt hier den Ton an, doch das Tonträgermaterial taugt auch zum pflegeleichten Bodenbelag.
Zwischen dem belebenden Beat in Ohr und Hirn und dem Boden, auf dem man unsanft landen kann, spielt sich das Leben ab, von dem die Fundstücke erzählen. Manchmal wird es lyrisch, bei Erich Hackl und Gerhard Kofler zum Beispiel. Manchmal symbolträchtig (N. C. Kaser) oder bilderstürmend (Hans Trummer), dann irrwitzig (Wolfgang A. Teuschls „Napoleon“) oder irgendwie elegisch, in Günter Brus’ „Con sentimento“ etwa „Wien blutet wie ein sterbender Grenadier“. Erschienen ist diese Miniatur übrigens in einer Zeitschrift namens Schastrommel, der man schon ihres schönen Namens wegen ein baldiges Comeback wünscht.
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Anthologie Xaver Bayer/Hanno Millesi (Hg.): Austropilot. Prosa und Lyrik aus österreichischen Literaturzeitschriften der 1970er-Jahre. Edition Atelier. 175 Seiten, 20 Euro. Lesung: Dienstag, 21. Februar, im Literaturhaus am Inn. Beginn: 19 Uhr.