Nobelpreis-Verleihung 2019

Nobelpreisvergabe an Handke: Proteste mit Schweigeminute für Srebrenica-Opfer

Am Nachmittag fand eine Protestaktion gegen die Vergabe des Literaturnobelpreises 2019 an den Kärntner Peter Handke in Stockholm statt.
© APA

Vertreter der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ demonstrierten am Dienstagnachmittag vor dem Stockholmer Konzerthaus gegen die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke. „Mr. Handke. APOLOGIZE to the victims of Srebrenica TODAY!“, war auf den Transparenten zu lesen. Nach der Verleihung fand eine weitere Kundgebung statt.

Stockholm, Zagreb – Die Abhaltung einer Schweigeminute für die Opfer des Genozids von Srebrenica bei der Nobelpreisverleihung am Dienstag forderten Vertreterinnen der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, die am Nachmittag vor dem Stockholmer Konzerthaus demonstrierten. „So könne man versuchen, die moralische Integrität des Preises und des Nobelpreis-Komitees vor der Welt zu retten“, hieß es in einer Presseerklärung.

Die Göttinger NGO versuche seit den 1990er-Jahren auf die problematische Haltung Peter Handkes zu den Kriegen in Jugoslawien aufmerksam zu machen und mit ihm ins Gespräch zu kommen – bisher vergeblich, erklärte die NGO-Aktivistin Linda Fiene, während sie ein gelbes Transparent hielt. „Mr. Handke. APOLOGIZE to the victims of Srebrenica TODAY!“, stand darauf zu lesen. „Wir verfolgen seine Schriften und seine Äußerungen seit Jahren“, sagte die Literaturwissenschafterin Jasna Causevic, in der GfbV Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung. „Aber nicht in unseren schlimmsten Albträumen hätten wir vermutet, dass man ihm einmal den Nobelpreis geben wird.“

„Handke reiht sich in Kette der Genozid-Leugner ein“

Wenn Handke erkläre, er komme von Homer, Cervantes und Tolstoi, müsse er gleichzeitig dazu sagen, dass er auch von (dem ehemaligen serbischen Präsidenten, Anm.) Milosevic komme, bei dessen Begräbnis er gesprochen habe, sagte Causevic. „Peter Handke reiht sich heute in die Kette der Genozidleugner ein, wenn er kein Rückgrat beweist und sich vor den Opfern des Völkermords verneigt.“

Die Zahl der Journalisten war zwei Stunden vor Beginn der Verleihung bei dem Protest vor dem Konzerthaus allerdings deutlich größer als die der Manifestanten. Die Polizei habe nur eine kurze Ansammlung einer Gruppe von zehn Menschen außerhalb des großräumigen Sperrgürtels erlaubt, hieß es. Am Abend wollte man bei der angemeldeten Versammlung am Norrmalmstorg deutlich mehr sein. Minus 5 Grad waren angesagt. Seit der Nacht lag in Stockholm Schnee.

Unter den Demonstranten war auch Emir Suljagic, der Leiter der Gedenkstätte Potocari, wo die Opfer des Srebrenica-Massakers beerdigt sind. Mit einer größeren Frauengruppe aus der Vereinigung „Mütter von Srebrenica“ war der Protest geplant. Suljagic bezeichnete die Verleihung des Nobelpreises an Handke am Dienstag als „ein Ende für den Literaturnobelpreis“. „Die Schwedische Akademie hat ihren Beschluss nur aus einem Grund gefasst: Sie glaubt, dass sie dies ohne Folgen tun kann, da es sich um eine Institution handelt, in welcher offensichtlich der Standpunkt vertreten ist, dass die Muslime und der Islam nicht zu Europa gehören“, ist Suljagic laut der Tageszeitung Oslobodjenje überzeugt. Die unangenehme Affäre habe sich dank der Überlebenden und ihrer Freunde in eine volle Katastrophe nicht nur für die Akademie, sondern auch für Schweden verwandelt, sagte er.

Am vergangenen Freitag hätte Handke bei einer Pressekonferenz laut den Protest-Initiaoren die Gelegenheit gehabt, sich zu entschuldigen.
© AFP/Nacktstrand

Protest-Initiatorin: „Handkes Literatur schreibt Geschichte um“

Für den Protest um 14 Uhr waren von Teufika Sabanovic, Initiatorin der Kundgebung, gemeinsam mit dem Universitätsprofessor Adnan Mahmutovic mindestens 500 Teilnehmer vorgesehen. Sie glaube aber nicht daran, dass sich der Schriftsteller für seine Haltung doch noch entschuldigen werde. Handke habe bereits auf der Pressekonferenz in der Schwedischen Akademie am Freitag eine goldene Gelegenheit verstreichen lassen, auf Fragen zu seiner Haltung zum Jugoslawien-Konflikt angemessen zu antworten.

„Ich würde mir wünschen, er würde sich ändern, und ich glaube an das Gute im Menschen. Aber er kann seine Veröffentlichungen nicht rückgängig machen. Es ist eine unmögliche Situation“, sagte Sabanovic der dpa. Handke betreibe Geschichtsrevisionismus, obwohl der Völkermord von Srebrenica ein ausgiebig belegter Fakt sei, über den man sich international einig sei. „Handkes Literatur schreibt die Geschichte um, er stellt einen Genozid infrage, der bewiesen worden ist. Das kann man einfach nicht infrage stellen. Ende der Geschichte.“ Es sei wichtig, „dass wir das hier unabhängig davon tun, ob wir Erfolg haben damit oder nicht. Wir müssen uns dem entgegenstellen“, sagte Sabanovic, die Bosnien im Dezember 1995 zunächst in Richtung Deutschland verlassen hatte, 1998 nach Schweden kam und nach der UNHCR und dem Europäischen Parlament heute für „Ärzte ohne Grenzen“ arbeitet.

Auch Kroatien boykottiert Verleihung

Unterdessen schloss sich Kroatien jenen Ländern an, die aus Protest die Verleihungszeremonie boykottieren. Der kroatische Botschafter in Schweden werde – wie seine Kollegen aus dem Kosovo, Albanien und der Türkei – nicht an der Verleihung teilnehmen, hieß es aus Zagreb am Montagabend via Twitter. Das kroatische Außenamt begründete den Boykott mit Handkes „Unterstützung der großserbischen Politik von Slobodan Milosevic in den 1990er-Jahren“.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) mit Sitz in Frankfurt am Main hält die Vergabe für skandalös. „Der Literaturnobelpreis für Handke ist eine Verhöhnung der Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Handke hat in seinen Jugoslawien-Texten stets Partei für Serbien ergriffen und sich nie um Ausgleich bemüht“, kritisiert IGFM-Vorsitzender Edgar Lamm in einer Aussendung. Dass der Literaturnobelpreis am Tag der Menschenrechte verliehen werde, sei „ein weiterer Schlag in das Gesicht der Opfer“.

Erdogan kritisiert Preis für „rassistische Person“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete indes Handke gar als „rassistische Person“ und kritisierte die Verleihung des Literaturnobelpreises an den Österreicher ebenfalls scharf.

Auch der türkische Botschafter werde der Zeremonie aus Protest fernbleiben, hieß es. „Dass am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, der Literaturnobelpreis einer rassistischen Person gegeben wird, die den Genozid in Bosnien Herzegowina leugnet und Kriegsverbrecher verteidigt, hat keine andere Bedeutung, als Verstöße gegen Menschenrechte auszuzeichnen“, erklärte Erdogan am Dienstag. Kritiker werfen Erdogan selbst Menschenrechtsverletzungen vor, etwa dass unter seiner Führung Oppositionelle durch politische Prozesse zum Schweigen gebracht werden.

Am Samstag hatte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin via Twitter gefordert, die „irrationale und unerhörte“ Entscheidung, die Auszeichnung an Handke zu vergeben, zurückzunehmen. Er warf dem Nobelpreiskomitee zudem vor, damit zu neuen Kriegsverbrechen zu ermutigen. Der Literat hatte sich im Jugoslawien-Konflikt stark mit Serbien solidarisiert und nach Ansicht von Kritikern die von Serben begangenen Kriegsverbrechen bagatellisiert oder geleugnet. 2006 hielt er bei der Beerdigung des sechs Jahre zuvor gestürzten serbischen Führers Slobodan Milosevic eine Rede.

Der Zerfall Jugoslawiens zu Beginn der 1990er-Jahre war mit einer Serie von äußerst blutigen Kriegen zwischen Serbien und anderen Nachfolgestaaten einhergegangen. Allein in Bosnien gab es 100.000 Tote und zwei Millionen Vertriebene. Auch wenn alle Seiten Kriegsverbrechen begingen, belegen Erkenntnisse der Zeitgeschichtsforschung sowie die Rechtsprechung des Internationalen Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, dass die Kriege von Milosevic geplant und initiiert wurden und dass die meisten und schwersten Gräuel auf dessen Konto gingen. (APA/dpa/TT.com)

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