Konzert

Bob Dylan in Innsbruck: Die letzten Schleicher der Saison

Bob Dylan mit Band vor gut zwei Jahren im englischen Nottingham. Bei Dylans Innsbruck-Konzert, bei dem der 78-Jährige auf jeglichen Kopfschmuck verzichtete, war wie schon bei seinen Auftritten in Wien das Fotografieren verboten.
© imago stock&people

In Klangwatte gepackte Meisterwerke: Bob Dylan gastierte am Freitagabend in der Innsbrucker Olympiahalle.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Punkt acht Uhr legen Bob Dylan und seine Band los. Davor gab es eine knappe Durchsage, die sich jeden mehr oder weniger versteckten Fotografierversuch verbat, und ein paar Takte von Strawinskys „Le sacre du printemps“. Mancher Konzertgänger schien nicht mit so kaltschnäuzig servierter Pünktlichkeit gerechnet zu haben: Der knackig vorwärtsdrängende Opener „Things Have Changed“ ist schon fast durch, da werden selbst auf den besseren Plätzen der luftig bestuhlten Innsbrucker Olympiahalle noch Sitzplatznummern überprüft. Wer dabei die Leuchtkraft seines Mobiltelefons erprobt, erntet böse Blicke. Mancher Ordner schaut besorgt. In Wien hatte Dylan über Handyfilmer geschimpft. Innsbruck gibt ihm dafür wenig Grund.

Ausverkauft ist die Hall­e am Karfreitagabend nicht. Aber beinahe. Und die Stimmung ist angemessen andächtig für das hoffnungsvolle, bisweilen beschwingte und durchwegs beseelte Hochamt, das Dylan mit seinen großartigen Begleitmusikern feiern will. Auf gut Neudeutsch könnte man das Konzert gechillt nennen. Aber Dylan spricht kein Neudeutsch. Er spricht gar nicht. Muss er auch nicht. Kein Gruß, kein Dankeschön. Frei nach dem einstigen Fernseh­clown Enrico: „Ich sing­e viel, viel lieber.“

Und wie er singt, der Literaturnobelpreisträger von 2014. Seine so oft belächelte, viel beschriebene, so eigentümliche Stimme, dieses inzwischen zum Röhren gewordene seltsam-schöne, immer etwas kurzatmige Krächzen stellt er ungeschützt aus: Schon Song Nummer zwei „It Ain’t Me, Babe“ ist ganz Stimme. Dylan begleitet sich selbst am Piano und hübscht die zuckersüße Neuinterpretation seines Klassikers von 1964 mit Mundharmonika-Zwischenspielen auf. Die Band hält sich zurück, bremst den Song ein, ohne ihn wirklich zu verschleppen.

Denkt man Halle und Hall weg, wähnt man sich in einem schummrigen Jazzclub. Oder einem Ballsaal, der zum letzten Schleicherabend der Saison lädt. Weil Dylan nicht nur Singer-Songwriter ist, sondern Legende. Ein Konglomerat selbstgebastelter und zugeschriebener Mythen füllt seine Weisen – die bittersüßen genauso wie die bitterbösen –, auch Räume, die für die den jeweiligen Songs angedachten Arrangements zu weitläufig sind. Bei „Simple Twist of Fate“ etwa entfalten sich die Unwägbarkeiten der erzählten Story in feinstem Mid-Midtempo. Wie später „Don’t Think Twice, It’s All Right“ gestaltet Dylan das Lied zum in Klangwatte gepackten Meisterwerk aus. Aus den Sitzen reißt einen dieser Ansatz freilich nicht. Die Songs, selbst wenn sie einst als höhnische Hymnen erdacht wurden, rütteln nichts mehr auf. Man wippt mit und schunkelt. Bisweilen rätselt man, welchen Song man da gerade ziemlich okay findet. Oder warum die einst besonders inbrünstig vorgetragen­e Gospel-Predigt „Gotta Serve Somebod­y“ inzwischen nach den Beach Boys klingt. Und die Nähe von Dylans Gesang zum Rap scheint bislang unterbelichtet: Seine Innsbrucker Variante von „Earl­y Roman Kings“ könnte Dylanologen der Zukunft Material für diese Untersuchung liefern. Sollte sich – wider Erwarten – ein Mitschnitt davon finden.

Dass sich Dylan nach wie vor einen Jux daraus macht, die Erwartungshaltungen seines Publikums ins Leere laufen zu lassen, führt die jüngste Inkarnation von „Like a Rolling Stone“ vor: Durchaus schwungvoll steuert alles auf das befreiende „How does it feel?“ zu – doch unmittelbar vor der Entladung biegen Dylan und Band ab: Alle Wucht verpufft in süßem Säuseln. Darin mag man Altersmilde erkennen. Oder das Selbstverständnis, nichts mehr beweisen zu müssen. Mit dem wuchtigen „Scarlet Town“ – von der 2012-Platte „Tempest“ – hingegen beweist Dylan, dass er rockiger Widerborstigkeit nicht abgeschworen hat: Energisch schwingt sich der vergleichsweise wenig besungene Song zu einem weiteren Höhepunkt des feinen Abends auf.

Nach 18 Liedern und zwei Zugaben – „Blowin’ in the Wind“ und „It Takes a Lot to Laugh, It Takes a Train to Cry“ zieht Bob Dylan den Schlussstrich. Eine schnelle Verneigung – und ab: See you soon, Mister Dylan.

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