Neues Album von Nick Cave: Geister, über Soundhügel wandernd
Nick Cave and the Bad Seeds veröffentlichen mit „Ghosteen“ ihre neue Scheibe. Kollektives Leiden und Hoffnung-Schöpfen.
Von Barbara Unterthurner
Innsbruck –„Nächste Woche“: So lapidar kündigte Nick Cave Ende September seine nächste Platte an. Auf The Red Hand Files, wo Nick Cave online gewissenhaft Fragen seiner Fans beantwortet, postete er unter „Wann kommt euer nächstes Album?“ die Sensationsmeldung mitsamt Mini-Erklärung: „Ghosteen“, so der Titel des 17. Studioalbums des Australiers und seiner Band, werde im ersten Teil acht Songs enthalten, im zweiten nochmals drei längere Tracks. „Ghosteen“ stünde übrigens für einen wandernden Geist.
Besagte Woche später veröffentlichte der heute 62-Jährige die Songs – zunächst als Live-Stream. Eine Veröffentlichung, mehr ein Happening, stand zusätzlich auf drei Kontinenten mit 33 Listening-Sessions an, bei denen Cave-Jünger die Platte gemeinsam anhören konnten. „Ghosteen“ ist auch als Erfahrung im Kollektiv gedacht, ein grundsätzlich anderer Zugang zur Musik im digitalen Heute. Erst Anfang November wird das Album auch auf physischen Datenträgern erhältlich sein.
Inzwischen schwebt das Album geisterähnlich durch die endlosen Web-Weiten – ein insofern ideales Bild, passt es doch zur neuen Musik: Teils plätschert es dahin, Cabe ist persönlich, atmosphärisch und nochmals ein Stück narrativer als beim orchestralen Vorgänger „Skeleton Tree“ von 2016.
Schon beim Opener „Spinning Song“ bauen Nick Cave und seine Bad Seeds jene sanft tönende Soundlandschaften, die im Laufe des Albums noch weiterwachsen. Gleich zu Anfang wird klar: Ambient ist auch dieses Mal bestimmend, klare Songstrukturen sind für den 62-Jährigen unwichtig. Und auf solchen Soundscapes unternimmt Nick Cave seine lyrischen Wanderungen. „I love you“, „Peace will come in time“ werden im ersten Song zum zarten und doch bestimmten Wander-Mantra.
Spätestens bei „Waiting For You“ (erinnert an frühere Highlights wie „Into My Arms“) muss der Zuhörer bereits einmal schlucken, wird der Titel doch hier zum flehenden Ruf des Leidenden.
Der Hinweis Caves, die ersten acht Songs des Albums stünden wie Kinder ihren Eltern, also dem dem zweiten Teil der Platte, gegenüber, lässt auch an den großen Schicksalsschlag, den Tod von Caves Sohn 2015, denken, der seither als Triebfeder für die kreative Kraft des Musikers erkannt wird. In der Bewältigung dieser emotionalen Zäsur erscheint nun aber auch Hoffnung: Im titelgebenden Track oder der Ouvertüre zum zweiten, elterlichen Teil resümiert er: „The world is beautiful.“ Religiöse Sprachbilder folgen.
Das Album endet dementsprechend episch – siehe das viertelstündige „Hollywood“. So viel Orchester-Sound brachten Caves Bad Seeds noch nie. Doch nur jemand ohne Herz könnte diesen Werdegang als Kitsch abtun.
Alternative Nick Cave and the Bad Seeds: Ghosteen. Ghosteen Ltd.