Neue Richtlinien

Neue Regeln: Facebook versteht beim Flirten keinen Spaß mehr

(Symbolbild)
© imago/Omar Marques

Eigentlich will Facebook „Menschen näher zusammenbringen“. Mit einer neuen Richtlinie stellt sich das soziale Netzwerk aber jetzt selbst ein Bein. Jegliche Form der sexuellen Kontaktaufnahme kann geahndet werden. Das ist grotesk – und sorgt für Irritationen.

Von Tamara Stocker

Innsbruck – Der zwei Milliarden Einwohner schwere Quasi-Staat Facebook hat einmal mehr klammheimlich seine Verfassung geändert. Der neue Abschnitt 15 in den Gemeinschaftsstandards nennt sich „sexuelle Kontaktaufnahme“ und verschärft den Umgang mit ebensolchen Inhalten. Soll heißen: Beim Posten müssen die Hände über der Gürtellinie bleiben – Facebook-Nutzer dürfen keine vagen, anzüglichen Bemerkungen oder sexuellen Andeutungen mehr machen.

Dabei sollte ein Flirt eigentlich zur Strategie des Konzern passen. Schließlich hatte Facebook im Mai eine Dating-Plattform angekündigt. Die Funktion wird derzeit in einigen Ländern getestet, die Versuchskaninchen müssen aber wohl ohne das Anspielen auf eine sexuelle Handlung auskommen. Denn auch Sätze wie „Ich möchte heute Abend noch Spaß haben“ gehen dem sozialen Netzwerk schon zu weit. Auch der unter Jugendlichen verbreitete zweideutige Begriff „Netflix & Chill“ ist strittig.

Was bei Facebook jetzt verboten ist

• Jegliche Form der „sexuellen Kontaktaufnahme“ – dazu gehören auch vage anzügliche Bemerkungen wie: „Ich möchte heute Nacht noch Spaß haben.“

• „Sexualisierter Slang“ oder Andeutungen wie etwa die Erwähnung von Folgendem: sexuelle Rollen, Sexstellungen, Fetischszenarien, sexuelle Vorlieben/Präferenzen (...)

• Bilder und Videos, die explizite sexuelle Handlungen oder (...) anzüglich positionierte Personen zeigen oder zu zeigen scheinen. Das gilt sowohl für echte Aufnahmen, Kunstobjekte als auch für Zeichnungen.

• Anwerbeversuche für nicht jugendfreie Handlungen, dazu gehören nicht nur Pornografie, sondern auch erotische Tänze oder Massagen.

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Verbot wirkt bis in private Chats

Besonders bizarr: Über Sex darf nur gesprochen werden, wenn er als gefährlich oder beschämend dargestellt werde. In dem Passus heißt es nämlich, es dürfe weiterhin über sexuelle Gewalt und Ausbeutung diskutiert werden, solange die Inhalte nicht sexuelle Kontakte ermöglichen, unterstützen oder koordinieren,. Dies impliziere auch pornografische Handlungen, Nacktbilder, erotische Tänze oder Massagen.

Die Regularien gelten nicht nur für öffentliche Beiträge und Kommentare, sondern auch für private Chats und Gruppen. Bevor die Facebook-Moderatoren dort aber tätig werden, müssen die anstößigen Inhalte von einer an der Unterhaltung beteiligten Person gemeldet werden. Dann werden sie umgehend gelöscht. Liebestolle Paare, die im Facebook-Messenger ausführlich über Sex reden (Stichwort Sexting) müssen demnach also nichts befürchten – schließlich wird der Partner den Chat kaum melden.

Die Regelung trat mit 15. Oktober in Kraft und wurde öffentlich nicht kommuniziert, blieb also weitgehend unbemerkt. Mitte Dezember hatten die Portale netzpolitik.org und The Verge das Thema aufgegriffen.

Regelverschärfung auf US-Druck?

Was genau hinter der Verschärfung der Richtlinien steckt, ist nicht völlig klar. Die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) mutmaßt, dass Facebook auf ein neues Gesetz in den USA reagiert haben könnte. Seit der „Stop Enabling Sex Traffickers Act“ in Kraft ist, drohen Online-Plattformen hohe Strafen, wenn sie etwa Menschenhandel und Zwangsprostitution ermöglichen. Allerdings sei das Gesetz schwammig formuliert und verwische die Grenzen zwischen Menschenhandel und Sexarbeit, monieren die Bürgerrechtler, die auch ein „klassisches Zensurmodell“ orten.

Facebook selbst bestreitet einen Zusammenhang mit dem US-Gesetz. Die Änderungen gingen auf Gespräche mit den hauseigenen rund 10.000 Content-Moderatoren zurück, die tagtäglich Inhalte sichten, prüfen und löschen. Wie eine Sprecherin gegenüber netzpolitik.org mitteilte, falle es den Moderatoren schwer, zwischen sexuellen Anspielungen und einvernehmlichen Handlungen zu unterscheiden. „Darum erscheinen einige unserer Regeln – besonders jene zu Nacktheit und sexueller Aktivität – weniger nuanciert als uns das lieb ist“, räumte die Sprecherin ein.

LGBTQ-Community besorgt

LGBTQ-(Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender)Verbände und Sexarbeiter empfinden die neuen Richtlinien als problematisch. Denn gerade für marginalisierte Gruppen sei Facebook eine wichtige Plattform, um etwa über ihre sexuelle Identität zu sprechen. Das sei auch weiterhin möglich, versicherte ein Facebook-Sprecher gegenüber The Verge. In geschlossenen Gruppen etwa könne frei diskutiert werden – solange kein „Spitzel“ oder „Troll“ die Beiträge in der Gruppe anzeigt. Die EFF warnt vor dem Missbrauch des Melde-Mechanismus. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Gruppen von Trollen infiltriert würden, um diese zu melden.

Facebook heiße die LGBTQ-Community willkommen, jeder Fehltritt, der nahelegen könnte, dass die Community nicht erwünscht ist, sei besonders schmerzhaft. Man bedauere die Verwirrung, erklärten die Sprecher in ihren Stellungnahmen.

Die ewige Doppelmoral

In den kommenden Monaten wolle man die Gemeinschaftsstandards in Bezug auf den Umgang mit sexuellen Inhalten ergänzen und dabei die bisherigen Rückmeldungen berücksichtigen. Wie genau das vonstattengehen soll, darauf ging der Sprecher nicht näher ein. So scheint sie aber wohl zu funktionieren, die digitale Demokratie im Quasi-Staat Facebook. Es wird bestimmt, eine Mitbestimmnung über die Mitbestimmung gibt es aber nicht.

Bereits in der Vergangenheit hat Facebook immer wieder angeblich anstößige Kunstwerke gelöscht, etwa die berühmte Freiheitskämpferin auf dem Gemälde von Eugène Delacroix (nackte Brüste) oder eine Statue des nackten Meeresgottes Neptun, die auf einem Platz in Bologna steht („explizit sexuell“). Nacktheit ist in dem sozialen Netzwerk seit jeher verpönt – Aktdarstellungen und unbedeckte weibliche Brustwarzen führten zur Sperrung von Accounts, während hate speech, Gewalt und Fake News weiter florieren.

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