Tirol

Schneelast lässt die Menschen näher zusammenrücken

Peter Hosp (l.) und Hubert Amann mühen sich, in Mitteregg ein Dach von der Schneelast zu befreien.
© Wechner

In Berwang waren vier Weiler mehrere Tage nicht erreichbar. Lücken im Schutzsystem stellen Anrainer in Finkenberg auf eine harte Probe.

Von Helmut Mittermayr und Angela Dähling

Berwang, Finkenberg –Die Schneemengen brachten auch reichlich Salat mit sich – auf die Mittagstische der Häuser in Mitteregg. Der kleine Weiler in der Gemeinde Berwang ist seit einer Woche von der Außenwelt abgeschnitten. „Was dazu führte, dass wir alle zusammenrücken“, erzählt Anita Wechner von der gleichnamigen Jausenstation. Das Ausbleiben der Gäste stellte einige ihrer Einkäufe schnell in Frage. Also wurde der Salat im ganzen Örtchen verteilt. „Dafür gab es frische Eier vom Bauernhof“, schmunzelt sie. „Wir rücken zusammen, gehen von Haus zu Haus und pflegen den Hoa­gart. Fernseher und Telefon werden vernachlässigt“, erklärt Wechner die positiven Seiten des Eingesperrtseins. Man sei trotzdem wachsam und vorbereitet. Die Speisekammern seien überall gefüllt, Strom sei Gott sei Dank da. Eine eigene Löschgruppe halte die Hydranten frei. „Wer könnte uns schon helfen kommen, wenn es brennen würde.“ Vielleicht die Lermooser Ärztin Iris Steiner. Sie hatte nach intensiver telefonischer Abklärung angeboten, sich mit Schneeschuhen nach Mitteregg durchschlagen zu wollen, wenn sich eine hartnäckige Verkühlung nicht bessere.

Norbert Amann weiß, dass beim Schneeräumen fast nur Ältere zupacken. Nicht weil die Jungen faul wären, nein, weil es in Mitteregg fast keine mehr gibt. „So gut wir halt alles noch packen mit weit über 60 und 70 Jahren“, erzählt er – und klingt dabei sehr jugendlich. Prinzipiell sei man strenge Winter gewöhnt. „Aber an eine solche Schneemenge kann ich mich nicht erinnern. Und ich bin 76.“ Amann hat keine Angst, der Ort sei nicht gefährdet. Mulmig ist ihm, ja, dieses Gefühl räumt er ein. Immerhin hat eine große Lawine die Gemeindestraße verlegt und Bäume mitgerissen. Über einen Fußweg, nur Einheimischen geläufig, komme man hinaus – im Notfall.

Mühsam werden Hydranten freigeschaufelt – man weiß ja nie.
© Wechner

In Berwang sind die Fraktionen Bichlbächle mit fünf Einwohnern, Kleinstockach (acht), Mitteregg (23) und Brand (49) seit über einer Woche nicht erreichbar. BM Dietmar Berktold hat alle Hände voll zu tun, um alles zu managen. Eine verlässliche Informationsquelle für ihn ist dabei Robert Hörbst vom Gasthof Roter Stein in Kleinstocklach – seit neun Tagen eingeschlossen. Der Wirt erzählt von Gästen – den letzten –, die er vor der Langeweile gewarnt hatte, wenn sie sich nicht rechtzeitig aus dem Tal machten. Sie taten es nicht und wurden gefrustet Tage später über einen Notweg zu Fuß außer Tales geführt. „Der Geschäftsverlust durch den totalen Betriebsausfall ist enorm“, sinniert Hörbst.

Im Finkenberger Ortsteil Innerberg wird der Zusammenhalt indes auf eine harte Probe gestellt. Trotz Lawinenschutznetzen sei dreimal in einer Woche dort ein Schneebrett abgegangen und habe eine Bergstraße verschüttet, weiß BM Andreas Kröll. Zuletzt in der Nacht auf Dienstag. Der Grund für das Übel: eine Lücke im Schutzsystem, weil ein Bauer auf seinem Grund keine Schutzbauten zuließ. „Bis zu seiner Hausdachkante türmt sich jetzt die Lawine. 100 Lkw-Fahrten werden nötig sein, sie zu entfernen“, sagt der Dorfchef, der nun auf Einsicht beim Bauern hofft. Josef Plank von der Wildbach- und Lawinenverbauung betont, dass bei öffentlichem Interesse das Zwangsrecht gelte. Das sei politisch leider unpopulär, vielen Gemeinden fehle der Mut – bis dann was passiert. Im Finkenberger Weiler Ast­egg gibt es einen ähnlichen Fall. BM Kröll: „Da verhandeln wir jetzt wieder.“

Manuel Wechner inspiziert den einzig verbliebenen Fußweg zum nächsten Weiler Brand.
© Wechner

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