Innsbruck-Land

Bär zog in Inzing Spur der Verwüstung: „Überall lagen tote Tiere herum“

Im Bereich der Inzinger Alm wurden am Mittwoch mehrere tote Schafe entdeckt.
© APA/zeitungsfoto.at

Ein Bär soll auf Almen in den Sellrainer Bergen rund 20 Schafe gerissen oder in den Tod getrieben haben. Für Menschen bestehe keine Gefahr, heißt es, aber viele Bauern haben Angst. Wenn das Raubtier seine Scheu vor Menschen verliert, ist ein Abschuss denkbar.

Von Benedikt Mair

Inzing — Auf der Inzinger Alm bot sich dieser Tage ein grausiges Bild. Überall verstreut lagen Kadaver gerissener Schafe. Für Martin Janovsky, Beauftragter des Landes für große Beutegreifer, dürfte der Übeltäter feststehen. „Die unsystematische Vorgangsweise und das Bild, das die Risse zeigen, deuten auf einen Bären hin. Bislang wurden uns allerdings keine Sichtungen gemeldet", erklärte der Experte gestern via Aussendung. Letzteres würde darauf hinweisen, „dass es sich um ein scheues Tier handeln dürfte".

Erst eines, dann zwei, drei, vier — immer mehr tote Schafe fand Werner Leitner am Dienstag auf den Hochweiden in den Sellrainer Bergen. „Das erste nicht weit vom Rosskogel entfernt", erzählt der Pächter der Inzinger Alm, der dort auch als Hirte tätig ist, gestern am frühen Abend. „Von in der Früh bis gerade eben war ich unterwegs, habe nach verendeten Tieren gesucht, die überlebenden auf Flaurlinger Seite getrieben, weil sie dort sicherer sind", berichtet er, hörbar erschöpft. Über ein Dutzend toter Schafe — teils zerfleischt, teils über Klippen gestürzt — will er bis jetzt gezählt haben. „Insgesamt werden es wohl 22 bis 25 sein. Alle haben wir noch nicht entdeckt."

Mitte Juni wurde das Jungtier im Außerfern fotografiert.
© Land Tirol, privat

Mehr als 20 tote Schafe hat das Raubtier allein im Almgebiet zwischen Sellrain- und Inntal also auf dem Gewissen. Kein Wunder also, wenn Inzings Bürgermeister Josef Walch, der Janovsky beim Lokalaugenschein begleitet hatte, von einer „ganz, ganz starken Verunsicherung" unter den Schafbauern und auf der Alm spricht.

Obwohl Janovsky betont, dass durch die Präsenz eines großen Beutegreifers „keine unmittelbare Gefahr für Wanderinnen und Wanderer" bestehe, wurde eine für heute geplante Wanderung mit zahlreichen Teilnehmern zur Inzinger Alm abgesagt. Außerdem wurden Tierhalter und Jägerschaft zur Aufmerksamkeit angehalten.

Info des Landes

Entschädigung: Wer in der betroffenen Region seine Schafe vorsichtshalber ins Tal bringt, kann beim Land Tirol um eine Erstattung der Futterkosten am Heimbetrieb ansuchen. Auch für die von großen Beutegreifern verursachten Schäden gibt es eine Entschädigungsregelung.

Verhaltensregeln: Wanderinnen und Wanderer werden gebeten, sich an das offizielle Wegenetz zu halten und sich allenfalls durch Reden oder Singen bemerkbar zu machen. Das Liegenlassen von Lebensmitteln oder gar das Füttern ist zu unterlassen. Wer einen Bären sieht, sollte durch lautes Reden auf sich aufmerksam machen.

Sichtungen oder Bilder an die zuständige Bezirkshauptmannschaft Innsbruck unter der Telefonnummer 05 12 508-50 91 oder via E-Mail an roberta.walch@tirol.gv.at

Informationen über die aktuelle Situation in Tirol beziehungsweise eventuelle Sperren im Internet unter www.tirol.gv.at baer-wolf-luchs sowie unter www.tirol.gv.at/baerenratgeber

Als sehr wahrscheinlich gilt, dass ein Bär die Tiere gerissen bzw. in den Tod getrieben hat — ebenso wie mehrere, die bereits am Wochenende in Oberperfuss gefunden wurden. Die unsystematische Vorgehensweise und das Rissbild würden darauf hindeuten, gesichert sei es aber noch nicht, berichtet Martin Janovsky, Beauftragter des Landes für große Beutegreifer. Darüber, ob es — sofern es sich um einen Bären handelt — jenes Exemplar ist, welches vor wenigen Wochen im Pitztal und Außerfern beobachtet wurde, gab es gestern keine Auskunft.

Bereits am Mittwoch fand auf der Inzinger Alm ein Lokalaugenschein mit dem Amtstierarzt statt. Gestern machten sich die Verantwortlichen der Landesveterinärdirektion gemeinsam mit Hüttenwirt Leitner und dem Inzinger Bürgermeister Josef Walch ein Bild vor Ort. „Überall lagen tote Tiere herum", schildert Walch seine Eindrücke. „Frische Funde aus der vorangegangenen Nacht haben wir keine mehr gemacht." Walch glaubt, dass Bevölkerung und Wanderer verunsichert seien. „Besonders schlimm ist es für die Bauern, die ihre Tiere verendet oder schwer verletzt auffinden und dann beim Notschlachten zusehen müssen." Viele Landwirte würden ihr Vieh jetzt frühzeitig von den Almen ins Tal bringen.

Verständnis für diese Maßnahme äußert auch Landeshauptmannstellvertreter Josef Geisler (ÖVP). „Wenn man sieht, wie die Tiere zugerichtet wurden, wird einem ganz anders." Für Bergsteiger bestehe kein Grund zu Sorge. Es handle sich um ein menschenscheues Tier. Jetzt werde die Entwicklung der Situation vorerst weiter beobachtet. Geisler: „Wir haben rechtlich aber die Möglichkeit zur Entnahme eines auffälligen Tieres. Falls die Notwendigkeit besteht, werden wir auch zu dieser Maßnahme greifen müssen." Den betroffenen Schafbauern sichert er volle Unterstützung zu. Da die Schafe mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem großen Beutegreifer getötet wurden, greife das entsprechende Entschädigungsmodell.

Gegen ebendieses regt sich Widerstand in der Tiroler Jägerschaft. Denn: Sofern gesichert ist, dass Wolf, Bär oder Luchs Weidevieh getötet haben, greift eine vom Verband abgeschlossene Haftpflichtversicherung. „Von unseren Mitgliedern hört man dazu zunehmend kritische Stimmen", sagt Landesjägermeister Anton Larcher. Viele würden nicht einsehen, warum sie für etwas geradestehen müssten, das sie nicht zu verantworten hätten. Abgesehen davon seien die Ereignisse in den Sellrainer Bergen ein „schockierendes Beispiel dafür, was große Beutegreifer anrichten können. Und die Erfahrung zeigt, dass das nicht die letzten Risse waren." Larcher glaubt, es bestehe die Gefahr, dass der Bär zusehends die Scheu vor den Menschen verliere. „Es interessiert uns grundsätzlich nicht, Jagd auf Wolf oder Bär zu machen", betont der Landesjägermeister. Wenn es aber unausweichlich wird, schrecke man auch nicht davor zurück.

Konkreter wird da Hermann Gahr (ÖVP), der das Argument des Tierschutzes ausgereizt sieht. „Sollte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass ein Bär die Risse in Inzing und Umgebung zu verantworten hat, dann muss ernsthaft über eine Entnahme nachgedacht werden", meint der Nationalratsabgeordnete. Die Situation dürfe nicht verharmlost und bagatellisiert werden. „Aus meiner Sicht gibt es keinen Platz bei uns für die großen Beutegreifer."

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