Wien

Siebenjährige in Wien getötet: 13 Jahre Haft wegen Mordes

Der Prozess begann am Mittwoch unter schwersten Sicherheitsvorkehrungen in und um das Straflandesgericht.
© APA/Helmut Fohringer

Zudem wird der Schüler in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Die Geschworenen folgten mehrheitlich jenem Gutachten, das den 16-Jährigen als zurechnungsfähig und damit schuldfähig einstuft.

Wien – Weil er laut erstinstanzlichem Urteil am 11. Mai 2018 in einer Gemeindebau-Anlage in Wien-Döbling ein sieben Jahre altes Nachbarsmädchen getötet hat, ist am Donnerstagabend ein 16 Jahre alter Schüler am Landesgericht wegen Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Zusätzlich wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Geschworenen stimmten für Zurechnungsfähigkeit

Die Geschworenen folgten mehrheitlich dem Gutachten des von der Staatsanwaltschaft beauftragten Psychiaters Peter Hofmann und stuften den 16-Jährigen mit 7:1 Stimme als zurechnungsfähig und damit schuldfähig ein. Bei einem Strafrahmen von bis zu 15 Jahren erschien dem Schwurgericht die verhängte Freiheitsstrafe schuld- und tatangemessen.

Mildernd wurden die bisherige Unbescholtenheit und die geständige Verantwortung des Burschen sowie - wie der vorsitzende Richter Daniel Rechenmacher sagte - „eine gewisse Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit“ berücksichtigt. Erschwerend waren laut Rechenmacher die Hilflosigkeit des Opfers, die „Grausamkeit der Tat“ sowie das Nachtatverhalten. Der Schüler hatte die Leiche im Müll entsorgt. Hinsichtlich der Einweisung in den Maßnahmenvollzug verwies der Vorsitzende auf die beiden psychiatrischen Gutachten. Diese hätten übereinstimmend festgestellt, dass der 16-Jährige, bei dem mittlerweile eine voll ausgebildete Schizophrenie vorliegen soll, „gefährlich, wenn nicht hochgefährlich“ sei.

Täter verhielt sich während Prozess ruhig

Die von Rechtsanwalt Nikolaus Rast vertretenen Angehörigen der Getöteten bekamen 5000 Euro zugesprochen. Der 16-Jährige wirkte bei der Urteilsverkündung ruhig und gelassen und erklärte mit fester Stimme: „Ich habe das Urteil verstanden.“ Während der gesamten Verhandlung, die unter bisher nie da gewesenen Sicherheitsvorkehrungen über die Bühne gegangen war, waren die von der Justiz und dem Verfassungsschutz befürchteten Zwischenfälle ausgeblieben. Die Familie des Opfers - unter den Zuschauern befanden sich die Mutter, ein Onkel, der ältere Bruder und eine Tante der Siebenjährigen - bewahrte Ruhe. Es kam zu keinen Unmutsäußerungen oder gegen den Angeklagten gerichteten Feindseligkeiten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidigerin Liane Hirschbrich erbat Bedenkzeit, Staatsanwältin Monika Gansterer gab vorerst keine Erklärung ab.

Die Siebenjährige hatte am 11. Mai den Angeklagten und dessen jüngeren Bruder - wie oft zuvor in der Vergangenheit - besucht. Das Mädchen spielte mit dem kleinen Bruder auf der Playstation, der 16-Jährige gab ihr danach ein Eis, ehe er sie - wie die Staatsanwältin ausführte - „mit den Händen am Hals gepackt und gewürgt hat“. Die Siebenjährige habe gehustet, der Angeklagte habe darauf „beschlossen, ihr den Hals abzuschneiden“, sagte die Staatsanwältin.

Daher habe er das Mädchen ins Badezimmer bugsiert, in die Dusche gestellt, aus der Küche ein Messer geholt, das Mädchen mit der linken Hand fixiert und mit der anderen mit seiner Waffe „Sägebewegungen“ ausgeführt. Ein Halsschnitt, der den Halswirbel durchtrennte, führte zum Tod.

Stimmen im Kopf zur Tat befohlen

Der Gymnasiast, der in einer dunklen Hose, einem weißen Hemd und Sneakers vor die Geschworenen trat und zu seiner Sicherheit mit einer Schutzweste ausgestattet war, gab die inkriminierten Tathandlungen zu. Diese wären ihm aber von inneren Stimmen befohlen worden: „Eine Stimme im Kopf hat gesagt, dass ich sie würgen soll. Das tat ich auch. Ich habe weitere Anweisungen gehört. Dass ich sie in die Duschkabine bringen soll, ein Messer holen und zustechen soll.“ Weitere Details wollte er nicht preisgeben: „Ich kann es nicht noch näher schildern. Ich kann mich nicht erinnern, den Kopf ganz abgetrennt zu haben.“ Er habe dann die Leiche gewaschen und „in ein Sackerl gepackt und entsorgt“. Die Stimme habe ihm gesagt: „In den Müll.“

Die Stimmen höre er schon seit Jahren, meinte der Angeklagte. Einmal sei er mit einem Messer vor dem Bett seines Vaters gestanden und sei zum Zustechen aufgefordert worden: „Ich konnte mich dagegen wehren.“ Die Stimmen höre er „den ganzen Tag“. Darüber hinaus nehme er auch Personen wahr, die - wie er nach seiner Festnahme erfahren habe - in Wahrheit gar nicht existieren.

Zurechnungsfähig oder nicht? „Gutachterstreit“ im Mittelpunkt des Prozesses

Die Verhandlung war von einem „Gutachterstreit“ geprägt. Der von der Staatsanwaltschaft nominierte Psychiater Peter Hofmann bescheinigte dem Angeklagten erhebliche Zwangsstörungen, eine Neigung zu Selbstüberhöhung und eine narzisstisch-schizoide Persönlichkeitsstörung. Die schizophrene Erkrankung habe sich im Tatzeitpunkt aber erst „im Vorstadium“ befunden, sagte Hofmann. Die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Schülers wären nicht aufgehoben gewesen. Erst Ende Juni und damit mehrere Wochen nach der Tat habe sich „ein Vollbild der Schizophrenie“ herausgebildet, was Hofmann auf die Inhaftierung und die damit verbundenen Lebensumstände des Jugendlichen zurückführte. Diese hätte dem 16-Jährigen erheblichen Stress bereitet, weil auf ihn - angeblich aus dem Umfeld der aus Tschetschenien stammenden Familie des umgekommenen Mädchens - ein Kopfgeld ausgesetzt wurde und er sich deswegen im Gefängnis nicht sicher fühlte. Aufgrund der ihm angelasteten Tat sei der Angeklagte außerdem „familiär entwurzelt“ und seiner sozialen Perspektiven beraubt, legte Hofmann dar. Diese Faktoren hätten der schizophrenen Erkrankung zum Durchbruch verholfen.

Der vom Gericht bestellte Kinder- und Jugendneuropsychiater Werner Gerstl sah das anders. Er war überzeugt, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig war. Eine innere Stimme hätte den 16-Jährigen „blitzartig überfallen“ und ihm „Pack zu!“ gesagt. Da habe der Bursch „in einem übermäßigen Aggressionsstau diesen ganz schlimmen Mord begangen“.

Gerstl meinte, der Angeklagte habe schon mit acht oder neun Jahren zu halluzinieren begonnen. Im heurigen Februar und März wären die inneren Stimmen „immer mordlustiger“ geworden. Der 16-Jährige sei in einen „Prozess des Gefährlich-Werdens mit sukzessiver Progredienz“ geraten. Er schließe aus, „dass allein Stress das Vollbild einer Schizophrenie ausgebildet hat, die vorher nicht vorhanden gewesen sein soll“, widersprach Gerstl in aller Deutlichkeit der Einschätzung Hofmanns.

Am Ende setzte sich bei den Geschworenen Hofmanns Expertise durch. Die Einholung eines von der Staatsanwältin und der Verteidigerin beantragten „Obergutachtens“ hatten die drei Berufsrichter abgelehnt. Von der Beiziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen sei keine „Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen“ zu erwarten, meinte dazu der Vorsitzende. (APA)

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