Tirol

Breite Front in Tirol gegen Kuh-Urteil, Bauern alarmiert

Nach dem tödlichen Unglück im Pinnistal soll ein Landwirt rund 180.000 Euro plus eine monatliche Hinterbliebenenrente von 1550 Euro an einen Deutschen und dessen Sohn bezahlen. (Symbolfoto)
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Ein Stubaier Bauer soll eine existenzzerstörende Strafe zahlen. Interessenvertreter wollen das nicht hinnehmen, prüfen Lösungen – und bekommen Rückendeckung aus dem ganzen Land.

Von Benedikt Mair und Reinhard Fellner

Innsbruck – Er hat einen langen Abend und eine noch längere Nacht hinter sich. Dutzende Telefonanrufe, Besprechungen und Gedanken, wie es nun weitergehen soll, beschäftigen Josef Hechenberger, seit der Entscheid des Innsbrucker Landesgerichts am Donnerstag bekannt geworden ist. Als der Präsident der Tiroler Landwirtschaftskammer (LK) gestern Vormittag in einem Besprechungssaal Platz nimmt, gibt er auch unumwunden zu: „Ich habe sehr schlecht geschlafen.“ Seinem Kampfgeist hat das nicht geschadet – im Gegenteil. „Dass Bauern und ihre Familien um Hab und Gut gebracht werden, lassen wir nicht zu“, sagt er und weiß bei dieser Ansage das ganze Land hinter sich.

Ein Bauer aus dem Stubaital wurde, wie berichtet, nach einem tödlichen Kuhangriff im Pinnistal zu einer Schadenersatzzahlung von rund 180.000 Euro verurteilt. Dem Ehemann und dem Sohn der damals gestorbenen 45-jährigen Deutschen muss er zusätzlich noch monatlich 1550 Euro Hinterbliebenenrente bezahlen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, beim Höchstgericht wurde Berufung eingelegt.

„2000 Almen haben wir in Tirol, 180.000 Tiere werden jährlich aufgetrieben, es ist eine seit Jahrhunderten gewachsene Tradition“ rechnet LK-Präsident Hechenberger vor und sieht im selben Atemzug diese Tradition auf dem Spiel. Das Gericht habe zwar eine „praxisfremde Entscheidung“ getroffen, die aber „richtungsweisend für die Zukunft der Almwirtschaft sein wird“. So wie viele Bauern im ganzen Land habe auch der Alpbachtaler bereits überlegt, ob er seine Kühe im heurigen Sommer nicht einfach zu Hause lassen soll – die Zeit drängt, in knapp zwei Monaten beginnen die ersten Almauftriebe. Diese drastische Lösung scheine ihm bei der aktuellen Lage eine naheliegende. „Existenzängste plagen die Leute“, meint Hechenberger.

Angst gründet meist auf Ungewissheit und offene Fragen gibt es im betreffenden Fall einige. So etwa jene nach dem Versicherungsschutz. Wer wie und wann versichert sei, welche Leistungen beglichen würden, wofür die Bauern selber gerade stehen müssen, das sei „in den nächsten Tagen noch genauer zu prüfen“, meint Hechenberger. Nächste Woche soll ein Runder Tisch diesen und andere Sachverhalte genauer beleuchten, bestenfalls Lösungen ausarbeiten. Neben Bauernvertretern sollen auch Alpenverein, Landespolitik und Touristik teilnehmen. „Es kann nicht sein, dass alle Vorteile haben und die Bauern am Ende des Tages alleine den Kopf hinhalten müssen“, hält er fest.

Denn „der Tourismus hat die Almlandschaft schon lange für sich entdeckt“, erklärt der LK-Chef. Durch das Urteil, dem immerhin der Tod einer Urlauberin zugrunde liegt, sieht er „das Miteinander von Tourismus und Landwirtschaft nicht nur auf eine harte Probe gestellt, sondern extrem gefährdet“. Und bevor man Tausende Kilometer Zaun aufstelle, sei es Hechenberger lieber, „wenn die Kühe auf der Alm und die Wanderer im Tal bleiben“.

Harte Worte vom obersten Bauernvertreter. Damit ist er aber nicht allein. Viele halten ihm den Rücken frei. So auch Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), für den das Gerichtsurteil „nicht nachvollziehbar“ sei und der sich „unmissverständlich auf die Seite der Bauern“ stellt. „Die in unserem Land seit Jahrhunderten praktizierte Form der Almbewirtschaftung steht auf dem Spiel.“ Sowohl Gäste als auch Einheimische hätten negative Konsequenzen zu befürchten. Platter hofft deshalb, dass „die Berufung gegen das Urteil Erfolg haben wird“.

Der grüne Landwirtschaftssprecher Georg Kaltschmid empfindet die Entscheidung als „gegen jede Vernunft und Lebensrealität im alpinen Raum“ und fordert, Gäste und Einheimische im „Umgang mit Kühen zu sensibilisieren“. FPÖ-Chef Markus Abwerzger glaubt, dass die Folgen, „wenn das Urteil hält, derzeit nicht abzuschätzen sind“. Für Wirtschaftsbund-Chef Franz Hörl habe das Gericht nicht nur den Wert der Bewirtschaftung der Almen, sondern auch „die menschliche Eigenverantwortung ausgeklammert“.

Von einer „Katastrophe für die Alm- und Freizeitwirtschaft“ spricht der Bauernbundobmann und LHStv. Josef Geisler (ÖVP). „Der althergebrachte Almbetrieb wird damit nicht nur in Frage gestellt, sondern existenziell gefährdet.“ Nachdem man den Landwirten auf keinen Fall empfehlen könne, die Rinder zu Hause zu lassen, bleibe für ihn derzeit nur eine Möglichkeit: „die Wanderwerge auf den Almen für Wanderer zu sperren“.

104 Seiten liegen Bauern wie Blei im Magen

Das nunmehr vorliegende 104-seitige Urteil zur tödlichen Kuhattacke im Pinnistal versetzt so manchen Landwirt in Schockstarre. Es scheint fast so, als würde das streng analytische Denken eines Richters mit der von Freiheit bestimmten Lebensart im bäuerlichen Bereich besonders im Widerspruch stehen. Hat man doch bislang am Land bei weidendem Vieh über diverse Fahrlässigkeitsarten in der Regel recht wenig nachgedacht. Immer häufiger werdende Vorfälle mit Mutterkühen ließen zuletzt aufhorchen, ein umfangreiches Beweisverfahren zum Todesfall und eine (nicht rechtskräftige) Haftung für den Landwirt von rund 180.000 Euro plus monatliche Rentenzahlungen von rund 1550 Euro – die TT berichtete – nehmen der Tierhaltung auf Weiden nun aber die bisherige Unbeschwertheit. So reichen laut Urteil Warnungen vor Mutterkühen allein bei wenig frequentierten Wegen aus. Grasen die Tiere mit ihren Kälbern aber an stark frequentierten Wegen, so umreißt das Urteil des Landesgerichts, gestützt auf höchstgerichtliche Judikatur, die Pflichten des Bauern als Tierhalter genau. Ein Absatz fasst es zusammen: „Die Einzäunung von Wegen in einem Weidegebiet, in dem sich Mutterkühe mit Kälbern aufhalten, an von Mensch und Tier stark frequentierten Orten, insbesondere in der Nähe eines Gastwirtschaftsbetriebes, ist schon wegen der einhergehenden hohen Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls erforderlich und zumutbar.“ Diesbezüglich sei dem beklagten Landwirt nicht der Nachweis gelungen, alles Erforderliche und Zumutbare zur Verhinderung des Unfalls getan zu haben.

Noch zu Prozessbeginn hatte der Bauer damit argumentiert, dass man doch unmöglich das Pinnistal einzäunen könne. Das Gericht sieht nun die Einzäunung im Bereich der Alm aber als zumutbar, da der Bereich unmittelbar nach dem Unfall auf Geheiß des TVB sofort eingezäunt worden war. Die Kosten von 200 Euro pro Jahr hält das Gericht für einen vernachlässigbaren Aufwand. Das Höchstgericht wird den für Tirol bedeutsamen Fall entscheiden.

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