Von Benedikt Mair
Innsbruck – Blauer Himmel, weiße Berge, strahlender Sonnenschein – wie ein Winterwunderland präsentierte sich gestern Tirol. Die imposante Naturkulisse ließ den Betrachter beinahe vergessen, dass erst vor wenigen Tage die Lage landesweit mehr als kritisch war. Lawinenwarnstufe 5, verlegte und gesperrte Straßen, noch nie erreichte Neuschneemengen. Eine große Katastrophe blieb aus. „In manchen Fällen hatten wir einfach Glück“, sagt Rudi Mair, Chef des Lawinenwarndienstes.
Glück deshalb, weil zwar teilweise Lawinen bis knapp an den Siedlungsraum heran abgingen, in Brixen im Thale ein Wohnhaus, wie berichtet, von den Schneemassen erfasst wurde, aber niemand gröber verletzt wurde, erklärt Mair. Dass nichts Schlimmeres passiert sei, liege auch daran, dass „wir alle gut vorbereitet waren und die verschiedenen Stellen – vom Wetterdienst bis zur Exekutive – Informationen sofort weitergegeben haben und dadurch zielgerichtet und schnell auf die Ereignisse reagiert werden konnte.“ Die akute Lawinengefahr ist laut dem Leiter des Lawinenwarndienstes endgültig gebannt. Ab heute Donnerstag wird sie von groß auf erheblich, sprich auf Stufe 3 gesenkt.

Die Entspannung der Lage bringt mit sich, dass viele der gesperrten Straßen und Verkehrswege wieder freigegeben werden konnten. So ist seit gestern Nachmittag, 15 Uhr, die gesamte Fernpassstraße wieder befahrbar. Auch die Pitztal-, Ötztal- und Venter-Straße ist wieder für den Verkehr freigegeben. Ebenso war die Gemeinde St. Anton wieder auf dem Straßenweg erreichbar. Die Verbindung nach Scharnitz ist seit gestern Abend wieder befahrbar. Freigegeben wurde heute Früh auch die Felbertauernstraße.
Wie Marcel Innerkofler, Leiter der Landeswarnzentrale Tirol, berichtet, seien gestern noch zwölf ausstehende Erkundungsflüge durchgeführt worden. „Für heute ist noch ein Flug mit einem Bundesheer-Hubschrauber im Oberland für die Gebietsbauleitung der Wildbach- und Lawinenverbauung zur Kontrolle der Schutzbauten geplant“, sagt Innerkofler. Bis einschließlich Sonntag bleiben zwei Bundesheer-Hubschrauber für Assistenzeinsätze am Stützpunkt in Vomp stationiert.

Trotz Entspannung der Lage hatten die Einsatzkräfte auch gestern alle Hände voll zu tun. In Waidring etwa musste eine Straße freigeräumt werden, auf die eine Lawine abgegangen war. Die Feuerwehr Terfens wurde in der Nacht auf gestern zu einem Pferdehof gerufen, dessen Dach aufgrund der Schneemengen einzustürzen drohte.
Meterhoch liegt der Neuschnee aktuell oberhalb von Innsbruck. „In 16 Tagen hat es über acht Meter Neuschnee gegeben. Das Bild, das sich auf der Seegrube derzeit bietet, ist fast schon abstrus“, erzählt Thomas Schroll, Chef der Nordkettenbahnen, der am Dienstag erstmal seit längerer Zeit die Lage vor Ort inspizieren konnte. Wie berichtet, war die Bahn wegen eines technischen Defektes außer Betrieb. „Einerseits ist es ein gewaltiges Gefühl, in dieser Kulisse zu stehen, andererseits wird einem bewusst, wie gefährlich die Natur sein kann.“ Wann die Nordkette wieder für Skifahrer und Co. freigegeben wird, steht noch nicht fest. Schroll: „Wir visieren das Wochenende an, ich möchte meine Mitarbeiter aber nicht stressen, weil das viel Arbeit ist.“
Während die Gefahr für Siedlungen und Verkehrswege wohl vorbei ist, sind besonders Wintersportler in den nächsten Tagen dazu aufgerufen, vorsichtig zu sein. „In der vergangenen Woche war das Wetter so grausig, dass sich kein Tourengeher auf den Berg verirrt hat“, sagt Rudi Mair. „Besonders jetzt, wenn das Wetter besser wird, ist Acht zu geben. Wer sich nicht gut auskennt, sollte nicht abseits der Piste Ski fahren oder zu Skitouren aufbrechen.“ Denn: Bei einem Erkundungsflug gestern hat Mair erstmals seit Längerem auch die Situation in den höheren Lagen begutachten können. „Der Wind hat sehr viel Schnee verfrachtet. Das lässt die Gefahr ansteigen, an gewissen Stellen liegen enorme Mengen, die abrutschen können.“