Extremwetter

Schneechaos in Osttirol: „Not macht erfinderisch“

Bobojach ist nach wie vor von einer Lawine bedroht.
© Land Tirol

In den von den Schneemassen betroffenen Gemeinden in Osttirol hat man zum Teil kreative Lösungen gefunden, um abgeschnittene Ortsteile zu versorgen. Ab morgen soll das Wetter wieder besser werden.

Lienz, Innsbruck –Seit Tagen kein Strom und keine Verbindung zur Außenwelt: In Außervillgraten macht man das Beste aus der schwierigen Lage. „Bei den Handy-Sendemasten haben wir Notstromaggregate angebracht, damit wenigstens die Kommunikation funktioniert“, sagt Bürgermeister Josef Mair. Ansonsten behelfen sich die Villgrater, so gut sie können: wer keinen Kachelofen hat, mit dicker Kleidung. Beschwerden wegen der Kälte hat Mair noch keine bekommen, obwohl viele Heizsysteme ohne Strom nicht funktionieren. Für die Versorgung mit dem Nötigsten gibt es auch eine Lösung, berichtet der Bürgermeister: „Die Feuerwehr hat einen Shuttledienst für Brot, Benzin und Medikamente eingerichtet. Die Männer fahren an der Straßensperre vorbei nach Sillian, wenn es möglich ist, und besorgen die Sachen. Not macht erfinderisch“, meint Mair und nennt die Heuaufzüge als Beispiel. Statt getrockneten Grases werden nun damit Treibstoffkanister in die höher gelegenen Ortsteile transportiert, damit dort mit Traktoren geräumt werden kann.

Eine ebensolche Lösung besteht auch im Defereggental, wo unter anderem der Heuaufzug in St. Veit umfunktioniert wurde. Dort gibt es zwar die meiste Zeit Strom, doch das Tal ist ebenfalls seit mehreren Tagen nicht erreichbar. „Wir bleiben zu Hause und hoffen, dass es bald besser wird“, meint Orts-Chronistin Ottilie Stemberger.

Die Kartitscher können aufatmen, denn seit Sonntag funktioniert die Stromversorgung wieder. „Zum Glück haben die meisten Haushalte einen Küchenherd, den man mit Holz heizen kann“, sagt der scheidende Amtsleiter Anton Goller. „So ist es warm, man kann etwas kochen. Vorräte haben die Leute meist genügend zu Hause.“

In Prägraten herrscht noch angespannte Stimmung. Nach Überprüfungsflügen per Hubschrauber konnten die evakuierten Häuser in den Ortsteilen Bichl, Hinterbichl und Wallhorn wieder freigegeben werden, sagt Bürgermeister Anton Steiner. Nur der Ortsteil Bobojach wird nach wie vor von einer Lawine bedroht und bleibt gesperrt. „Die Bewohner sind bei Verwandten und Bekannten untergekommen“, schildert Steiner. „Im Dorfsaal haben wir eine Essensversorgung für bis zu 140 Personen eingerichtet, damit die Evakuierten und die Einsatzkräfte eine warme Mahlzeit bekommen.“

Im Ötztal wurden die Bäume per Heli von der Schneelast befreit.
© BBA Imst/Strigl

Gestern machte Landeshauptmann Günther Platter per Hubschrauber einen Lokalaugenschein in Osttirol. Er kündigte im Gespräch mit der TT finanzielle Unterstützung des Landes für alle an, die durch die Schnee- und Regenfälle Schäden zu verzeichnen haben. „Und ich habe die Tinetz beauftragt, den Verbesserungsbedarf bei der Stromversorgung zu erheben“, sagt Platter.

Der Schulbetrieb in Osttirol wird heute großteils wieder aufgenommen, viele Straßen bleiben aber gesperrt, unter anderem die Felbertauernstraße. Weiterhin sind viele Haushalte ohne Strom.

Nach dem Lawinenabgang auf die Ranalter Straße in der Nähe der Talstation der Stubaier Gletscherbahnen waren Montagvormittag zunächst nach wie vor Gäste und Mitarbeiter der Gletscherbahnen im hinteren Stubaital eingeschlossen. Lawinensprengungen wurden durchgeführt, Montagnachmittag waren die Räumarbeiten abgeschlossen, Gäste und Mitarbeiter konnten das Tal verlassen.

Ebenfalls wieder freigegeben werden konnten alle Straßen im Ötztal. Die Bundesstraße zwischen Umhausen und Längenfeld war am Sonntag gesperrt worden, Dutzende Bäume waren aufgrund der Schneelast umgefallen und gefährdeten die räumenden Feuerwehrleute und Bauamtsmitarbeiter. Montagfrüh startete ein Hubschrauber von Heli Tirol und befreite die Bäume links und rechts der Straße von der Schneelast. „Das ist die schnellste und sicherste Methode“, erklärt der zuständige Straßenmeister Michael Strigl.

Im Pustertal ließ eine Mure einen Zug entgleisen.
© FF Mühlbach

In Kärnten forderte das extreme Wetterereignis gestern ein erstes Todesopfer. Bei einem Murenabgang in Bad Kleinkirchheim kam ein 79-jähriger Mann ums Leben. Gegen 10.30 Uhr war ein Hang oberhalb seines Wohnhauses ins Rutschen geraten und hatte das Wohnhaus praktisch völlig zerstört. Der Besitzer konnte von den Suchmannschaften nur noch tot geborgen werden. Lawinen und Murenabgänge forderten außerdem auch die Einsatzkräfte in Salzburg.

Im Südtiroler Pustertal ist Montagfrüh zwischen Kiens und Mühlbach ein Zug wegen einer Mure entgleist. Im Zug befanden sich drei Zugbegleiter und ein Passagier. Sie wurden laut Medienberichten evakuiert, blieben aber unverletzt. Die Bahnlinie ins Pustertal wurde vorerst gesperrt. Auch in anderen Südtiroler Gemeinden gingen kleinere Schlammlawinen ab. In Barbian oberhalb von Klausen wurde ein Bauernhof von einem Erdrutsch getroffen. Verletzt wurde niemand. Der am Sonntag durch eine Lawine abgeschnittene Ort Martell im Vinschgau war indes wieder erreichbar. Am Sonntagabend waren noch 2400 Haushalte in Südtirol ohne Strom. (co, pascal, np, APA)

ZAMG-Experte Manfred Bauer: “Ungewöhnliches Wetterereignis“

1) Wie würden Sie die Niederschläge der vergangenen Tage bewerten? Das war schon ein sehr ungewöhnliches Wetterereignis, insbesondere die Kombination an kritischen Wettererscheinungen. Auf der ZAMG-Homepage waren gleichzeitig eine Regenwarnung für die tiefen Lagen Kärntens und Osttirols, eine rote Schneewarnung für den Großteils Osttirols und dazu auch noch eine Sturmwarnung für höhere Lagen aktiv, und darin eingelagert gab es sogar Gewitter. Innerhalb von drei Tagen fielen Niederschlagsmengen, wie sie im Schnitt nur alle 20 bis 50 Jahre vorkommen. 206 Liter pro Quadratmeter waren es beispielsweise in Lienz, das entspricht dem 2,5-Fachen des normalen Novemberniederschlags. Und die Schneemengen im Hochgebirge sind für diese Jahreszeit wirklich extrem: Auf unserer Wetterstation am Sonnblick auf 3105 Metern Seehöhe haben wir derzeit etwa gewaltige 475 Zentimeter Schneehöhe.

2) Wie sind diese Schnee- und Regenmengen zu erklären? Ein Kaltluftvorstoß über Westeuropa sorgte in den letzten Tagen für eine anhaltende Südströmung, die ausgesprochen feuchte Luft in mehreren Staffeln an die Alpensüdseite geschaufelt hat. Das Mittelmeer ist momentan noch ungewöhnlich warm, die aufziehenden Tiefdruckgebiete konnten somit ungewöhnlich viel Feuchte aufnehmen. Und diese ganze Feuchte wurde in der Folge im Stau der Alpen abgeladen.

3) Wie wird sich das Wetter in den betroffenen Regionen in den kommenden Tagen entwickeln? Eine Niederschlagsstaffel folgt noch heute Dienstag, sie fällt aber bereits deutlich weniger stark aus als in den vergangenen Tagen. Die Südströmung bleibt uns auch danach erhalten. Zum Glück bringt sie aber trockenere Luft. In den nächsten Tagen wechseln in Osttirol bewölkte mit sonnigen Phasen, dabei bleibt es weitgehend trocken. Und das wahrscheinlich bis in die nächste Woche hinein, die Wetterberuhigung ist also zum Glück nachhaltig.

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