Brexit

Saures zum Halloween-Brexit: Boris Johnson fast am Ziel

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Ein Grusel-Brexit ohne Abkommen zu Halloween lehrt viele Briten und Europäer das Fürchten. Doch mit Boris Johnson als Nachfolger von Theresa May in der Downing Street 10 rückt ein No-Deal-Brexit immer näher.

Von Christian Jentsch

London, Brüssel — Großbritannien sollte eigentlich längst nicht mehr Mitglied der EU sein. Laut Artikel 50 des EU-Vertrages hätte Großbritannien die Union am 29. März dieses Jahres verlassen sollen, zwei Jahre nachdem die scheidende konservative britische Premierministerin Theresa May Brüssel offiziell über den Austritt ihres Landes informierte und dabei die große Zukunft eines „Global Britain" beschwor. Gefangen im Brexit-Labyrinth ist Großbritannien heute immer noch EU-Mitglied und May bald Geschichte. Nun droht mit einem Brexit-Hardliner als Premier ein Chaos-Austritt zu Halloween.

Ein Drama in zahllosen Akten

Die scheidende Regierungschefin Theresa May brachte einen geregelten Brexit nicht über die Bühne, vielmehr erlebte sie und ihr Land ein Drama in zahllosen Akten. Ihr mit der EU ausgehandelter Austrittsvertrag scheiterte dreimal krachend im Unterhaus, der Austrittstermin musste mehrmals verschoben werden. Reihenweise verließen ihre Minister die Regierung (auch ihr Nachfolger Johnson), der Widerstand der Brexit-Hardliner in ihrer eigenen Partei — den heillos zerstrittenen Tories — wurde immer größer. Nach der krachenden Niederlage bei der Europawahl musste die glücklose Premierministerin ihren Rücktritt ankündigen — als Parteichefin der Tories und in der Folge auch als Regierungschefin von Großbritannien.

Der frühere Londoner Bürgermeister und Außenminister Boris Johnson wird wohl zum neuen Premier gekürt.
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Der Weg war somit frei für den Brexit-Hardliner Boris Johnson, früherer Außenminister und Londoner Bürgermeister. Er wird morgen Dienstag wohl als klarer Gewinner aus dem parteiinternen Rennen um die Nachfolge Mays hervorgehen. Bei der Stichwahl zwischen Johnson und dem amtierenden Außenminister Jeremy Hunt, bei der die rund 160.000 Parteimitglieder der konservativen Tories per Briefwahl das letzte Wort hatten, stand der Sieger längst vor dem heute verkündeten Ergebnis fest. Am Mittwoch folgt dann die Amtsübergabe. Premierministerin Theresa May wird sich zu Mittag ein letztes Mal den Fragen der Abgeordneten stellen. Anschließend wird sie vor dem Regierungssitz Downing Street eine Abschiedsrede halten, bevor sie bei Königin Elizabeth II. im Buckingham-Palast ihren Rücktritt einreicht. Die Queen wird direkt danach den neuen Premierminister ernennen und mit der Regierungsbildung beauftragen. Er übernimmt dann eine Minderheitsregierung, die auf die Unterstützung der zehn Abgeordneten der nordirischen protestantischen DUP-Partei angewiesen ist.

Johnson gilt bei der Parteibasis als eine Art Heilsbringer, der die enttäuschten Brexit-Befürworter wieder zurückbringen soll, zurück von der Brexit-Partei des Nigel Farage. Johnson, Frontmann der Brexit-Befürworter vor dem Referendum im Juni 2016, hat jedenfalls seinen Anhängern versprochen, Mays Brexit-Deal mit der EU neu zu verhandeln, um einen weit besseren Deal zu erzielen. Und: Ein Brexit ohne Abkommen ist für Johnson eine durchaus denkbare Option. Dann wären die Bande zwischen der EU und Großbritannien abrupt gekappt; Zollunion, Binnenmarkt und Co. wären von einem auf den anderen Tag Geschichte.

Johnson schließt weitere Verschiebung aus

Eine weitere Verschiebung des Austrittsdatums über den 31. Oktober hinaus kommt für Johnson jedenfalls nicht in Frage — komme, was wolle. Laut Umfragen könnten auch rund zwei Drittel der Tory-Parteimitglieder mit einem No-Deal gut leben, den Warnungen der Wirtschaft vor verheerenden Folgen zum Trotz. Der britische Unternehmerverband CBI rechnet bei einem harten Brexit ohne Abkommen mit einem Einbruch der Wirtschaft. Alle Waren und Personen aus Großbritannien müssten vor dem Überschreiten der EU-Grenzen wieder kontrolliert werden, auch zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland müssten wieder Kontrollen eingeführt werden. Apropos irische Frage: Johnson will den so genannten „Backstop" — eine Garantieklausel, die verhindern soll, dass auf der irischen Insel wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen — nicht akzeptieren. Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis es eine Lösung gibt. Für die Brexiteers ist der Backstop freilich ein „Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens. Johnson will der EU also einen neuen Deal abpressen. Doch Brüssel winkt ab. Eine Neuverhandlung des Brexit-Vertrags ist ausgeschlossen, heißt es von Seiten der EU-Kommission. Und bisher sind auch alle EU-Mitgliedsländer auf Linie geblieben.

In die Quere kommen könnte Johnson freilich noch das Parlament. Die Regierung verfügt dort über eine Mehrheit von nur drei Stimmen. Einen ersten Warnschuss feuerten die Abgeordneten vergangenen Donnerstag ab. Sie stimmten für einen Gesetzeszusatz, der es Johnson erheblich erschweren würde, das Parlament in eine Zwangspause zu schicken, um einen No-Deal-Brexit durchzuboxen. Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke, die einen No-Deal-Brexit verhindern wollen, haben bereits ihren Rücktritt angekündigt, sollte Johnson neuer Premier werden. Hammond kann sich sogar vorstellen, den neuen Premier aus der eigenen Partei zu stürzen, um einen ungeordneten Austritt zu verhindern. Sechs Abgeordnete wollen die Tories verlassen.

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