Großbritannien

Johnson wird laut Ex-Premier Blair keinen Austritt ohne Abkommen wagen

Der ehemalige Regierungschef Tony Blair.
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Heute Mittag geben die britischen Tories bekannt, wer neuer Parteichef und damit Premier werden wird. Favorit Boris Johnson klopfte im Vorfeld große Sprüche – und will am Brexit-Datum 31. Oktober unter allen Umständen festhalten. Ex-Premier Tony Blair rechnet nicht damit, sondern hält vielmehr ein zweites Referendum für wahrscheinlich.

London – Trotz der erwarteten Kür von Boris Johnson zum neuen britischen Regierungschef hält Ex-Premierminister Tony Blair einen EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen für ausgeschlossen. „Ohne die Billigung entweder des Parlaments oder der Wähler wird Boris Johnson den No Deal nicht wagen“, sagte Ex-Premier Blair europäischen Medien. Im Parlament sei eine Mehrheit dagegen.

Johnson könne entweder eine Neuwahl auslösen oder ein zweites Referendum ansetzen. „Ich glaube, dass Letzteres wahrscheinlicher ist“, sagte Blair. Er wandte aber auch ein: „Wenn er ein zweites Referendum zuerst macht, dann ist das Thema Brexit vom Tisch.“ Dann könne Johnson in eine Neuwahl gegen den Labour-Chef Jeremy Corbyn gehen, „die Corbyn zerstören wird und auch die Brexit Party von Nigel Farage“.

Die britischen Tories geben am Vormittag das Ergebnis der Urabstimmung über den neuen Parteichef bekannt. Dieser wird automatisch auch Regierungschef.

Johnson haushoher Favorit gegen Hunt

Der umstrittene Tory-Politiker Boris Johnson wird nach jüngsten Umfragen der neue Premierminister Großbritanniens. Johnson gilt schon lange als haushoher Favorit für die Nachfolge von Theresa May. Seinem Konkurrenten, Außenminister Jeremy Hunt, werden nur geringe Chancen eingeräumt. Die Konservative Partei wird den Namen des neuen Tory-und Regierungschefs zu Mittag verkünden.

Johnson ist ein Exzentriker, der es mit der Wahrheit oft nicht so genau nimmt. Seine Statur und die lange Zeit wilde Frisur sollen zu seinem Spitznamen „Yeti“ in Schulzeiten beigetragen haben. Ganz anders dagegen die ungelenke und wenig spontane May, die in ihrer Amtszeit unter anderem als „Maybot“ verspottet wurde – in Anspielung auf roboterhaftes Auftreten. Auch politisch könnten die beiden Konservativen kaum unterschiedlicher sein.

Johnson schließt auch „No Deal“ nicht aus

Wird Johnsons Wahl bestätigt, hätte das großen Einfluss auf den EU-Austritt und es dürfte auch das Verhältnis zu den USA stark prägen. Der Brexit-Hardliner will Großbritannien am 31. Oktober aus der Europäischen Union herausführen – notfalls auch ohne Abkommen. Ein solcher No Deal würde vermutlich vor allem für die Wirtschaft unangenehme Konsequenzen haben, da es zu einer Wiedereinführung von Zöllen kommen könnte. May war mit ihrem mit Brüssel ausgehandelten Abkommen drei Mal im Parlament krachend durchgefallen.

In Brüssel übt man sich zumindest nach Außen hin in Gelassenheit. „Wir werden jeden Premierminister respektieren und zu ihm Arbeitsbeziehungen aufbauen“, hieß es zuletzt immer wieder aus der für die Brexit-Verhandlungen zuständigen EU-Kommission. Dazu wird betont, dass man das mit May ausgehandelte Austrittsabkommen nicht mehr ändern werde und lediglich noch Modifikationen an der begleitenden politischen Erklärung möglich seien.

Auf den No-Deal-Fall hat sich die EU in den vergangenen Monaten intensiv vorbereitet. Wenn es nicht anders geht, sind wir bereit, lautet das Motto. So könnten besonders betroffene Wirtschaftszweige und Regionen im Ernstfall finanzielle Unterstützung erhalten.

Die Spekulationen, wie es mit dem Brexit weitergehen könnte, werden hinter verschlossenen Türen geführt. Zum einen gibt es dabei diejenigen, die den früheren EU-Korrespondenten des Daily Telegraph fürchten, weil sie es für wahrscheinlich halten, dass er sein Land ohne Deal aus der EU führen wird. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die hoffen, dass die Amtszeit Johnsons ein weiterer Schritt in Richtung eines britischen Verbleibs in der EU sein könnte. Denn sollte Johnson mangels Mehrheit im Parlament eine politische Bruchlandung hinlegen, blieben am Ende dann nur Neuwahlen und womöglich ein neues Referendum, das den Brexit-Entscheid wieder rückgängig macht.

Neue Verschiebung wird bereits jetzt diskutiert

In Brüssel wird jedenfalls jetzt schon damit gerechnet, dass es Ende Oktober noch einmal einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs gibt, um zu besprechen, ob eine erneute Verschiebung des Austrittsdatums möglich ist. Bis dahin dürfte ein Premier Johnson versuchen, die EU doch noch zu einer Neuverhandlung des Deals zu bewegen.

Wenn Boris Johnson in etwas mehr als drei Monaten noch im Amt sein sollte, dann dürfte er mit Ursula von der Leyen über die Beziehungen zwischen der EU und seinem Heimatland verhandeln. Die Deutsche hatte sich in der vergangenen Woche wohlweislich gehütet, auf die Frage zu antworten, ob sie als künftige EU-Kommissionspräsidentin Hunt oder Johnson als Gesprächspartner bevorzuge. „Ich werde sehr konstruktiv mit jedem Staats- und Regierungschef zusammenarbeiten“, sagte von der Leyen nur. Dies sei für sie eine „goldene Regel“. (TT.com, APA, dpa)

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