Brexit-Drama

Steht Brexit-Showdown bevor? Johnson will notfalls keine Abstimmung über Deal

Bei vielen liegen die Nerven bei diesem Thema blank: Am Wochenende gab es auch neuerliche Großdemonstrationen von Brexit-Gegnern in London.
© AFP

Neuer Anlauf beim Brexit: Womöglich stimmen die Parlamentarier in London schon heute Nachmittag über Boris Johnsons Austrittsabkommen ab. Wenn es denn keine Abänderunganträge gibt - in diesem Fall wäre eine Abstimmung laut Johnson hinfällig. Brüssel würde im im Falle eines weiteren Scheiterns eine „flexible Verlängerung“ der Brexit-Frist bis Februar 2020 gewähren.

London, Brüssel — Der britische Premierminister Boris Johnson will seinen Brexit-Vertrag im Unterhaus nur dann zur Abstimmung stellen, wenn die Parlamentarier keine Änderungen daran vornehmen. Sollten die Abgeordneten versuchen, die mit der EU ausgehandelte Vereinbarung mit Zusätzen zu versehen, wäre eine Abstimmung sinnlos, sagte ein Sprecher Johnsons am Montag.

Die Regierung würde in einem solchen Fall den Abstimmungsantrag zurückziehen.

Ein neuer Anlauf der Regierung ist nach Angaben des einflussreichen konservativen Abgeordneten Jacob Rees-Mogg für diesen Montag geplant. Ob Parlamentspräsident John Bercow dies jedoch zulässt, ist fraglich. Mehrere Abgeordnete argumentieren, eine Abstimmung, der die gleiche Fragestellung wie am Samstag zugrunde liegt, verstoße gegen die parlamentarischen Regeln. Bercow will seine Entscheidung am Nachmittag bekanntgeben.

Abstimmung über Vertrag verschoben

Vergangenes Wochenende spielte sich im britischen Unterhaus ein schon bekanntes Schauspiel ab: Dreimal immerhin hatte auch schon Boris Johnsons Vorgängerin Theresa May ihr Vertragswerk vorgelegt, dreimal wurde es abgelehnt. Premier Johnson setzte erst auf einen No-Deal-Brexit, schwenkte dann auf einen Verhandlungskurs um und brachte vom EU-Gipfel vergangene Woche dann wirklich ein neues Paket mit. Die Abstimmung darüber am Samstag wurde allerdings verschoben.

Sollte Johnson seinen Deal mit der EU in dieser Woche nicht durch das britische Parlament bringen, will die Europäische Union Großbritannien laut Medienberichten eine „flexible Verlängerung" bis Februar 2020 gewähren. Dies berichteten die britischen Zeitungen The Times und The Telegraph unter Berufung auf diplomatische Quellen.

Im Fall früherer Austritt möglich

Demnach soll der dreimonatige Aufschub, um den Johnson nach dem britischen No-Deal-Gesetz (Benn Act) in Brüssel ansuchen musste, als „technische Verlängerung" bis zum 31. Jänner 2020 eingestuft werden. Diese Regelung würde es Großbritannien erlauben, bereits zu einem früheren Datum die Europäische Union zu verlassen, wenn der neue Brexit-Vertrag ratifiziert wird.

Die EU will laut den Medienberichten aber zumindest bis zum morgigen Dienstag die Entwicklung im britischen Unterhaus abwarten.

Im EU-Parlament beraten am heutigen Montagabend die Fraktionschefs mit Parlamentspräsident David Sassoli über den weiteren Fahrplan. Der Brexit-Vertrag muss auch vom EU-Parlament angenommen werden, damit er in Kraft treten kann. Dieses will den Brexit-Vertrag nach den Worten des Grünen-Fraktionschefs Philippe Lamberts erst nach dem britischen Parlament ratifizieren. Eine Grundsatzentscheidung des Unterhauses für den Vertrag - ein sogenanntes Meaningful Vote - reiche nicht, sagte Lamberts am Montag in Straßburg.

"Bevor es einen Rechtsakt gibt, der die britische Ratifizierung bestätigt, sollten wir nicht ratifizieren." Lamberts meinte, die Gesetzgebung in London werde schwerlich diese Woche abgeschlossen sein. Auch könnte der neue Austrittsvertrag mit Zusätzen vom britischen Parlament verändert werden. In dem Fall müsste mit Brüssel nachverhandelt werden. Es sei für das EU-Parlament nicht sinnvoll, vorher eine andere Fassung zu billigen.

Lamberts schloss aber eine Sondersitzung kommende Woche nicht aus, falls vor dem Austrittsdatum 31. Oktober nur noch das Votum des Europaparlaments fehlen sollte. Auch eine Verschiebung des Brexit-Termins wäre aus seiner Sicht möglich.

Vergangenen Freitag beim EU-Gipfel wurde der modifizierte Brexit-Deal noch als großer Erfolg gefeiert. Jean-Claude Juncker hatte erklärt, dass eine Verlängerung über den 31. Oktober hinaus nicht infrage komme. Im Hintergrund aber hatte man sich auch für den Fall verständigt, dass der Deal erneut durchfallen könnte. Und dass es in diesem Fall am 29. Oktober erneut einen EU-Sondergipfel geben könnte, bei dem der Brexit verschoben wird.

„Super-Saturday" wurde abgebrochen

Das Parlament hatte vor zwei Tagen, bei der ersten Samstagssitzung seit 37 Jahren, eine Entscheidung über das Abkommen verschoben und Johnson damit eine Niederlage zugefügt. Ziel der Vertagung war es, einen No Deal auszuschließen. Das lag an einem Änderungsantrag des konservativen Exministers Oliver Letwin, hinter dem sich die gleiche Allianz versammelte wie hinter dem Benn-Gesetz, das Johnson zur Brexit-Verlängerung zwang. Man werde dem neuen Paket erst zustimmen, wenn die Drohung eines No Deal endgültig und unwiderruflich vom Tisch sei, argumentierte Letwin.

Johnson war also per Gesetz verpflichtet, in Brüssel eine Verlängerung der Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zu beantragen — dies tat er widerwillig und ohne Unterschrift auf dem offiziellen Schreiben. Zuvor hatte er geäußert, lieber „tot im Straßengraben liegen" zu wollen, als um diese Verlängerung anzusuchen.

Dass er nicht unterschrieben hatte, könnte am Montag bei einer Anhörung vor einem Gericht in Schottland eine Rolle spielen. Kritiker werfen Johnson vor, den Willen des Parlaments zu torpedieren.

Mehrheit im Unterhaus gegen No-Deal-Brexit

Ein Chaos-Brexit Ende Oktober mit all seinen wirtschaftlichen Turbulenzen wird unwahrscheinlicher. Der britische Staatsminister Michael Gove drohte zwar am Sonntag erneut damit und sagte, die Gefahr sei gestiegen. Doch stemmt sich eine Mehrheit im Unterhaus dagegen. Auch die EU hat kein Interesse daran, wie Diplomaten in Brüssel am Wochenende bekräftigten.

Johnson hat im Parlament, das im Brexit-Kurs total zerstritten ist, keine eigene Mehrheit und ist für die Ratifizierung des Brexit-Deals auf jede Stimme angewiesen. Die Labour-Partei signalisierte inzwischen ihre Bereitschaft, ein Abkommen zu unterstützen, wenn es in einem Referendum zur Abstimmung gestellt wird.

Johnson hatte vor wenigen Tagen nach langem Streit mit der EU einen geänderten Austrittsvertrag vereinbart, der sofort von den EU-Staats- und Regierungschefs gebilligt wurde. Neu geklärt wurde die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Zudem vereinbarte Johnson mit Brüssel in einer politischen Erklärung, dass es auf längere Sicht nur eine lose Bindung seines Landes an die EU geben soll. (dpa/APA/TT.com)

Brexit-Zeitplan: Wie geht es weiter?

Einige wichtige Wegmarken vor und nach dem Austrittstermin 31. Oktober:

21. Oktober:Der britische Parlamentspräsident John Bercow entscheidet, ob das Unterhaus über den neuen Brexit-Deal von Premierminister Boris Johnson abstimmen, also einmal grundsätzlich Ja oder Nein sagen kann.

In Straßburg berät die Spitze des EU-Parlaments über den Fahrplan für die Ratifizierung, denn auch die Europaabgeordneten müssen den Vertrag absegnen.

22. Oktober:Das britische Unterhaus berät wahrscheinlich über das Gesetz zur Ratifizierung. Dazu können Änderungsanträge eingebracht werden, die das Abkommen im Kern verändern würden, zum Beispiel eine dauerhafte Zollunion mit der EU. Denkbar ist auch eine Vorgabe, den Deal den Briten in einem zweiten Referendum vorzulegen. Ob und wie das Abkommen Chancen auf eine Mehrheit hat und wie lange die Ratifizierung dauern würde, ist offen.

In Straßburg debattiert das Europaparlament über den Brexit.

24. Oktober:Letzter regulärer Sitzungstag des Europaparlaments vor dem Brexit-Termin 31. Oktober. Das EU-Parlament könnte aber auch noch in einer außerordentlichen Sitzung über den Austrittsvertrag abstimmen.

28. oder 29. Oktober:Denkbare Termine für einen Sondergipfel der 27 bleibenden EU-Staaten, um eine Verlängerung der Austrittsfrist für Großbritannien zu beschließen. Denkbar ist auch, dass die Staats-und Regierungschefs nicht noch einmal nach Brüssel reisen, sondern einen Aufschub im schriftlichen Verfahren genehmigen. Dies gilt aber nur dann, wenn es keinen großen Diskussionsbedarf gibt.

31. Oktober:

Nach jetzigem Stand letzter Tag der britischen EU-Mitgliedschaft. Ohne Fristverlängerung endet sie um 24.00 Uhr.

31. Jänner: Der von Großbritannien vorgeschlagene neue Austrittstermin. Er ist in einem britischen Gesetz, dem sogenannten Benn Act, vorgegeben. Premierminister Johnson war am Wochenende gezwungen, die Verzögerung bei der EU zu beantragen. Diese könnte aber auch eine andere Frist wählen.

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