Brexit-Drama

Unterhaus darf heute nicht über Brexit-Deal abstimmen

Parlamentspräsident John Bercow widersprach dem Wunsch der britischen Regierung.
© AFP/UK PARLIAMENT

Die Entscheidung des britischen Unterhauses über den neuen Brexit-Deal von Premierminister Boris Johnson verzögert sich weiter. Parlamentspräsident John Bercow ließ eine Abstimmung im Unterhaus in London am Montag nicht zu.

London – Das britische Unterhaus wird an diesem Montag nicht über die von Premierminister Boris Johnson und der EU ausgehandelte Brexit-Vereinbarung abstimmen. Das teilte Parlamentspräsident John Bercow am Nachmittag in London mit und widerspricht damit einem Wunsch der Regierung. Weder die Substanz des Antrags der Regierung noch die Umstände hätten sich seit Samstag verändert, so Bercow.

Schon einmal hatte Bercow eine Wiedervorlage eines Deals mit Verweis auf eine Regelung aus dem 17. Jahrhundert verhindert. Damals hatte diesen Theresa May eingebracht. Eine zweite Debatte über eine unveränderte Vorlage ist demnach innerhalb eines Parlamentsjahres nicht möglich.

„Über den Antrag wird heute nicht debattiert, da dies eine Wiederholung und ordnungswidrig wäre“, sagte Bercow.

Abstimmung am Samstag verschoben

Das Unterhaus sollte eigentlich schon am vergangenen Samstag in einer Sondersitzung über den Brexit-Deal abstimmen. Die Abgeordneten votierten aber dann dafür, die Entscheidung über das Abkommen zu verschieben und fügten so Johnson eine empfindliche Niederlage zu. Ziel der Vertagung im Unterhaus war es, einen Chaos-Brexit auszuschließen.

Die Folge: Der Premierminister war damit per Gesetz verpflichtet, in Brüssel um eine Verlängerung der Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zu bitten. Dies tat er – allerdings nur sehr widerwillig und ohne Unterschrift unter dem Antrag. Für die EU spielt das aber keine Rolle: Sie sieht den Antrag auch ohne Unterschrift als gültig an, wie eine EU-Kommissionssprecherin sagte.

Dieses Verhalten Johnsons beschäftigt auch ein Gericht in Schottland: Kritiker werfen ihm vor, den Willen des Parlaments zu torpedieren. Die Richter in Edinburgh erklärten am Montag, sie wollten vor einer Entscheidung erst beobachten, wie sich die Regierung in London weiter verhalte und ob sie vollends im Einklang mit dem Gesetz handle. Im Zweifel könne es noch immer zu einer Rüge kommen.

„Woche der Hölle“ im britischen Parlament

Regierungskreise sprachen von der „Woche der Hölle“ im Parlament. Der Telegraph zitierte eine nicht näher genannte Regierungsquelle mit den Worten: „Alles steht auf Messers Schneide.“

Das Unterhaus sollte auch über das Gesetz zur Ratifizierung beraten. Dazu können Änderungsanträge eingebracht werden, die das Abkommen im Kern verändern würden. So wollen Abgeordnete der Labour-Partei und weitere Parlamentarier beschließen lassen, dass Johnsons Deal dem Volk in einem weiteren Referendum zur Zustimmung vorgelegt werden muss. Unter diesen Umständen könnte sich zumindest ein Teil der Labour-Abgeordneten eine Zustimmung vorstellen.

Ein anderer erwarteter Änderungsantrag sieht vor, dass ganz Großbritannien mit dem Rest der EU zumindest für eine Übergangszeit in einer Zollunion bleiben soll. Dies würde vor allem bei Brexit-Hardlinern auf Widerstand treffen, da Großbritannien dann nicht ohne weiteres Handelsabkommen mit den USA oder anderen Ländern abschließen könnte – für Befürworter ein Hauptvorteil des Brexits.

EU-Parlament wartet auf Ratifizierung in London

Das Europaparlament will den Brexit-Vertrag nach den Worten des Grünen-Fraktionschefs Philippe Lamberts erst nach dem britischen Parlament ratifizieren. Eine Grundsatzentscheidung des Unterhauses für den Vertrag (Meaningful Vote) reiche nicht, sagte Lamberts in Straßburg. „Bevor es einen Rechtsakt gibt, der die britische Ratifizierung bestätigt, sollten wir nicht ratifizieren.“ Die Entscheidung über den Fahrplan sollte am Montagabend fallen.

Premier Johnson steht unter sehr großem Zeitdruck: Er hat immer wieder versprochen, Großbritannien am 31. Oktober – also in etwa eineinhalb Wochen – aus der EU zu führen. Wiederholt hatte er auch mit einem Ausstieg ohne Abkommen gedroht. Im Falle einer ungeregelten Scheidung von der Staatengemeinschaft drohen chaotische Verhältnisse. In Prognosen wird etwa mit Engpässen bei Lebensmitteln und Arzneien sowie mit Protesten gerechnet.

Deutschlands Außenminister Heiko Maas kann sich bei einer Zustimmung des Unterhauses zum Abkommen eine kurze Verschiebung des Termins vorstellen. „Ich würde nicht ausschließen, falls es in Großbritannien Probleme gibt mit den Ratifizierungsschritten, dass es eine kurze technische Verlängerung geben könnte“, sagte er in Berlin.

Johnson hatte vor wenigen Tagen mit der EU einen geänderten Austrittsvertrag ausgehandelt. Neu geklärt wurde die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Zudem vereinbarte Johnson mit Brüssel in einer politischen Erklärung, dass es auf längere Sicht nur eine lose Bindung seines Landes an die EU geben soll. (APA/AFP/dpa/TT.com)

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