Tirol

Gemeindefusionen sollen aus der Tabuzone kommen

Blick auf die Gemeinden Matrei-Mühlbachl-Pfons. Auf engem Raum gibt es drei Bürgermeister und drei Feuerwehren.
© TVB Wipptal

In Tirol wird wieder über die Zusammenlegung von Gemeinden gestritten, befeuert durch den Bericht des Landesrechnungshof zu Rattenberg. Fazit: Kleinstgemeinden sollten kooperieren oder fusionieren, ein europaweiter Trend. Doch Tirol soll anders sein.

Von Alexandra Plank

Innsbruck – Wer am Mittwoch im Gemeindeamt Matrei am Brenner anruft, wird freundlich darauf hingewiesen, dass ihm im benachbarten Mühlbachl weitergeholfen wird. Schon seit Jahren befinden sich die drei Gemeinden Matrei, Mühlbachl, Pfons auf Annäherungskurs. Laut Matreis Bürgermeister Paul Hauser ist es „ein Schwachsinn“, auf so geringem Raum drei Bürgermeister zu haben. Er will sich dafür einsetzen, dass es bei der nächsten Wahl nur noch Kandidaten für eine Gemeinde gibt (siehe rechts).

Fusionen im europäischen Trend

Kurt Promberger vom Lehr- und Forschungsbereich für Verwaltungsmanagement an der Uni Innsbruck gibt an, dass Fusionen im europäischen Trend liegen. „In Tirol gilt das aber immer noch als Tabu“, so der Experte. Er lässt mit interessanten Zahlen aufhorchen. Während Nord- und Osttirol aktuell bei 279 Gemeinden halten, beläuft sich im flächenmäßig etwas kleineren Südtirol die Anzahl nur noch auf 116 Gemeinden. „Interessant ist aber vor allem, dass die Einwohnerzahl in den Gemeinden dort durchschnittlich doppelt so hoch ist wie derzeit in Tirol.“

Wie auch der Landesrechnungshof im Fall von Rattenberg festgestellt hat, kosten die Bewohner einer Kleinstgemeinde besonders viel. „In Gemeinden unter 500 Einwohnern macht das rund 3000 Euro je Person aus, bei Gemeinden bis zu 2500 Einwohnern nur durchschnittlich 2000 Euro.“ Ab der Marke von 2500 Einwohnern würden die Kosten allerdings wieder ansteigen, räumt der Experte ein.

Derart ökonomische Argumente stoßen in Tirol auf nicht allzu viel Gegenliebe. Magnus Gratl, Berater für die kommunale Organisationsentwicklung, erklärt, dass der Rechnungshof lediglich den Preis für Ministrukturen aufgezeigt habe. Allerdings würde dort sehr schlank verwaltet, oft bringe sich der Bürgermeister selbst intensiv ein. „In größeren Einheiten, egal ob nach Kooperation oder Fusion, funktioniert dieses System nicht mehr“, sagt Gratl.

Spezialisten statt „Alleskönner“

Statt „Alleskönnern“ würden Spezialisten am Schreibtisch sitzen, dies verschlinge zusätzliche Personalkosten, sodass der Zusammenschluss keine Einsparungen, sondern eine Verteuerung bringe. Gratl wirbt indes für mehr Zusammenarbeit, dadurch werde die Qualität und Professionalität der Verwaltung im Bürgerservice, in der Rechtssicherheit, bei Dienstleistungen, in der Finanzverwaltung und in der Digitalisierung verbessert. Die Mittelgebirgsgemeinden Aldrans-Sistrans-Lans erarbeiten derzeit eine Verwaltungskooperation (siehe rechts).

Die tatsächlichen Auswirkungen einer Gemeindefusion sind in Tirol nicht empirisch erforschbar. Es gibt kein einziges Beispiel dafür. Anders sieht die Situation in der Steiermark aus. Promberger erarbeitet aktuell eine Studie, wie sich die Zusammenschlüsse der Gemeinden dort ökonomisch ausgewirkt haben. Tatsächlich habe sich die „finanzielle Performance der Orte nach der Fusion entscheidend verbessert“. Durch die Reform wurde die Zahl der Gemeinden in der Steiermark von 542 um 255 auf 287 Gemeinden verringert. In Tirol wird dieser Umstand samt der Abwahl des damaligen Landeshauptmannes Franz Voves oft mit dem Unmut der Bevölkerung über die Zusammenschlüsse in Verbindung gebracht.

„Das ist eine Interpretationssache, fest steht, dass der ökonomische Effekt sichtbar ist“, sagt der Tiroler Wissenschafter. Er bringt die Diskussion auf den Punkt: „Fusionen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Effizienz und mehr Demokratie.“ Je kleiner eine politische Einheit sei, umso mehr zähle jede Stimme. Promberger merkt auch an, dass Fusionen die Bürgermeister erstarken lassen würde. So radikal wie in Dänemark müsse die Reform ja nicht ausfallen: Dort gibt es mittlerweile statt 278 nur mehr 98 Gemeinden. Eine Horrorvorstellung für viele: „Tirol darf nicht Dänemark werden“, bekam Promberger bei Diskussionen öfter zu hören. „Die Frage der Zusammenlegung von Gemeinden ist eine politische Entscheidung, wichtig wäre aber, eine intensive Diskussion zuzulassen.“

Meinungen

Paul Hauser, Bürgermeister von Matrei am Brenner: „Es ist ein Kuriosum, dass es in Matrei-Mühlbachl-Pfons auf 1,2 Hektar drei Bürgermeister und drei Feuerwehren gibt. Die Mühlbachler und die Matreier sind voll für eine Zusammenlegung, bei den Pfonsern gibt es ein paar Skeptiker. Die Gemeinden arbeiten in zahlreichen Verbänden sehr eng zusammen und zwar in allen Lebensbereichen, von der Geburt bis zum Sterben. Seit Dezember 2018 haben wir einen Kooperationsvertrag. Für mich wäre es nur ein logischer Schluss, wenn die Gemeinden zusammengelegt werden. Ich bin diesbezüglich auch schon öfter beim Land vorstellig geworden. Das Ziel aus meiner Sicht wäre, dass bei der nächsten Gemeinderatswahl (Anmerkung 2020) nur mehr ein Bürgermeister für den gesamten Ort gewählt wird.“

Benedikt Erhard, Bürgermeister von Lans: „Die Gemeinden Aldrans, Sistrans und Lans wollen sich in der Verwaltung zusammenschließen. Derzeit werden die Stärken und Schwächen aller Gemeinden eruiert. Bei uns ist der Prozess schon fertig und das geht schon an die Nieren. Aber es ist gut, gnadenlos damit konfrontiert zu werden, was wir gut können und was nicht. Letztlich wird die Zusammenarbeit in der Verwaltung wohl nicht dazu führen, dass wir in Summe weniger Personal brauchen, aber wir können in den Gemeinden Kompetenzschwerpunkte setzen und das Personal professioneller einsetzen. Eine Fusion ist derzeit aber nicht angedacht, wobei ich festhalten möchte, dass mich das auch nicht schrecken würde. Eine Fusion würde natürlich auch heißen, dass Infrastruktur zusammengelegt wird.“

Zahlen und Fakten

  • 279 Gemeinden gibt es in Tirol. In der EU stehen die Zeichen auf Fusion. In Irland wurde die Zahl von 114 auf 31 gesenkt.
  • 34 Gemeinden in Tirol haben nicht mehr als 500 Einwohner. Im Bezirk Reutte gibt es die meisten Kleinstgemeinden.
  • 1000 Einwohner leben lediglich in mehr als einem Drittel der Tiroler Kommunen.
  • Mehr. Wörgl verzeichnete im vergangenen Jahr die größte Zunahme bei der Bevölkerung, gefolgt von Innsbruck und Kufstein.
  • Weniger. In Lienz und Kitzbühel ist die Bevölkerung indes im vergangenen Jahr in Summe am stärksten gesunken.

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