Parlament zwingt Johnson zur Brexit-Pause

Nach einer heftigen Abstimmungsniederlage im britischen Parlament hat Premier Boris Johnson seine Gesetzgebung zum Brexit-Deal auf Eis gelegt. Er wolle mit der Europäischen Union über eine weitere Verlängerung der Frist verhandeln. Zugleich müsse er aber auch die Vorbereitungen für einen ungeregelten Austritt aus der EU vorantreiben, sagte Johnson am Dienstagabend im Parlament.

EU-Ratspräsident Donald Tusk sprach sich unterdessen für eine erneute Brexit-Verschiebung aus. Er schlug zudem am Dienstagabend im Onlinedienst Twitter vor, die Entscheidung „im schriftlichen Verfahren“ zu treffen. Dann müsste kein EU-Sondergipfel einberufen werden. Um einen ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens zu verhindern, werde er den EU-Staats- und Regierungschefs empfehlen, dem britischen Antrag auf Verschiebung zuzustimmen, teilte Tusk mit.

Johnson zeigte sich enttäuscht, dass das Unterhaus wieder für eine Verzögerung votiert habe. „Wir sehen uns nun noch größerer Unsicherheit gegenüber“, sagte Johnson. „Die EU muss sich nun entscheiden, wie sie auf die Bitte des Parlaments um einen Aufschub reagieren will. Die Regierung muss die einzig verantwortungsvolle Richtung einschlagen und unsere Vorbereitungen für ein No-Deal-Ergebnis beschleunigen.“

Die Abgeordneten hatten zuvor in einer Abstimmung Johnsons straffen Brexit-Zeitplan gekippt. Insgesamt waren 322 Abgeordnete gegen Johnsons Zeitplan, 308 sprachen sich dafür aus.

Mit der Ablehnung des Zeitplans ist die Gefahr eines ungeregelten Brexits an Halloween gestiegen. Johnson hatte vor der Abstimmung gedroht, der Pfad für einen No-Deal-Brexit öffne sich, wenn sein Plan zunichte gemacht werde und der 31. Oktober als Datum für eine geregelte Trennung nicht möglich wäre. Die Macht über das weitere Vorgehen müsse in Großbritannien liegen und nicht in Brüssel.

Vor der Niederlage hatte das Parlament am Dienstagabend den Gesetzesrahmen für den Brexit-Deal im Grundsatz gebilligt und damit den Weg für eine weitere Debatte des Gesetzespaketes eigentlich frei gemacht. Die Abgeordneten votierten in einer ersten Abstimmung für das zwischen Johnson und der EU vereinbarte Paket. Nach der 2. Lesung stimmten 329 Abgeordnete dafür, das Gesetzespaket weiter zu verfolgen, 299 votierten dagegen, wie Parlamentspräsident John Bercow bekannt gab.

Die Inhalte des 110 Seiten starken Brexit-Gesetzespaketes waren den Abgeordneten erst am Montagabend bekanntgeworden. Zahlreiche Parlamentarier forderten mehr Zeit. Es bedürfe weiterer Diskussionen - nicht zuletzt über den Umgang mit Arbeitnehmerrechten, mit Umweltbestimmungen und vor allem mit der Frage einer Zollunion und damit verbunden des Nordirland-Problems.

Das Johnson-Papier sieht vor, dass Großbritannien zwar als Ganzes aus der Zollunion mit der Staatengemeinschaft austritt. De facto aber würde Nordirland zu einem großen Teil an die Handelsregelungen der Europäischen Union gebunden bleiben. Im Prinzip verlagert der Deal die Zollgrenze südlich der irischen Insel. Dies stößt auf Widerstand bei der nordirischen Protestantenpartei DUP.

Johnson hatte erst am Montag und zuvor schon am Samstag schwere Niederlagen hinnehmen müssen: Parlamentspräsident John Bercow ließ eine Abstimmung am Montag über den neuen Brexit-Deal nicht zu. Er begründete seine Ablehnung damit, dass der Entwurf der Regierung in seinem Inhalt der gleiche wie der am Samstag abgelehnte sei. Auch die Umstände hätten sich nicht geändert. Die Abgeordneten hatten stattdessen dafür votiert, die Entscheidung zu verschieben. Damit wollten sie einen Chaos-Brexit ausschließen.

Der Premier hatte schließlich auf Geheiß seines Parlaments - widerwillig und ohne Unterschrift - eine Verlängerung der Austrittsfrist bis Ende Jänner beantragt, die die EU-Staaten bewilligen könnten.

Nach Ansicht von Kreisen in der Downing Street ist unterdessen eine Neuwahl ist der einzige Ausweg aus der britischen Brexit-Krise, sollte die EU einer Verlängerung des Brexit bis Jänner zustimmen. Dies erklärte ein Mitarbeiter im Amtssitz des britischen Premierministers Johnson am Dienstag. Das Parlament sei „komplett kaputt“.