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Millionen Pakete landen im Müll: Dunkle Seite des Onlinehandels

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© APA/HELMUT FOHRINGER

Bestellen, probieren, gratis zurückschicken? Für die Konsumenten ist Online-Shopping bequem wie nie. Doch viele Retouren landen direkt im Müll. Dabei könnten vier von zehn vernichteten Stücken weiterverwendet werden.

Von Nina Werlberger

Innsbruck, Wien, Bamberg – Das Einkaufen im Internet hat eine bislang wenig beachtete Schattenseite: In Europa werden jedes Jahr Millionen von Rücksendungen vernichtet. Der Grund: Die Zerstörung vieler zurückgeschickter T-Shirts, Schuhe oder Computerteile ist häufig billiger, als diese auszupacken, zu überprüfen und wieder neu zu versenden.

Online-Händler haben allein in Deutschland im vergangenen Jahr 7,5 Millionen zurückgeschickte Artikel entsorgt, obwohl sie diese hätten spenden oder wiederverwerten können. Das entspricht 40 Prozent aller weggeworfenen Retouren, wie Wirtschaftswissenschafter der Universität Bamberg ermittelten. Es sei „eine unnötige Verschwendung“, kritisierte Björn Asdecker, Leiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement, gegenüber der Presseagentur dpa.

Wie ist das in Österreich? „Ob die Ergebnisse eins zu eins übertragbar sind, kann ich nicht beurteilen, ich denke aber schon, dass es große Parallelen gibt, da ja viele deutsche Händler von Deutschland aus den österreichischen Markt bedienen“, erklärte Asdecker gegenüber der TT. Wie seine Studie ergab, landeten im Vorjahr insgesamt schätzungsweise 20 Millionen zurückgeschickte Artikel allein in Deutschland im Müll. Umgelegt auf Österreich würde das zwei Millionen Artikeln entsprechen, die retourniert und dann vernichtet würden. „Vorwiegend werden Fashion-Artikel entsorgt, weil einfach der größte Anteil der Retouren darauf zurückzuführen ist“, erklärt Asdecker. Aber auch Elektro- und Freizeitartikel, Möbel und Haushaltswaren sowie Produkte des täglichen Bedarfs landen oft auf der Müllhalde.

Kein Wunder nach den Ergebnissen des Forschers: Die Entsorgung von Waren kostet im Schnitt nur 85 Cent. Es wäre viel teurer, diese Ware weiterzuverwerten. Und noch dazu aufwändiger. Manche Händler wüssten auch nicht, wer eine Spende überhaupt gebrauchen könne und welchen Wert die Ware noch habe. Die meisten weggeworfenen Produkte kosten weniger als 15 Euro.

Dementsprechend gering sei dann meistens auch die Qualität, bemerkt der Forscher. Ein Gutteil der verschrotteten Produkte kann auch gar nicht mehr aufbereitet werden oder ist technisch defekt. Eine Entsorgung sei oftmals alternativlos. Nach Einschätzung der Forschungsgruppe habe es deshalb auch keinen Sinn, das Wegwerfen gesetzlich zu verbieten. Zumal das kaum kontrollierbar wäre. Die Wissenschafter empfehlen stattdessen, Anreize zu entwickeln – etwa mit der Einführung eines Nachhaltigkeitssiegels. Außerdem müsse die Entsorgung teurer werden. Doch nicht nur Händler müssten umdenken. Rund eine Million Artikel werden laut der Studie nur entsorgt, weil es die Marken- oder Patentinhaber so verlangen. Asdecker betont in der Studie jedoch auch, dass Retouren nicht „massenhaft“ vernichtet würden. Immerhin vier von fünf zurückgeschickten Dingen werden direkt wiederverkauft. Summa summarum werden rund vier Prozent aller Rücksendungen entsorgt oder verschrottet.

Rainer Will ist Geschäftsführer des österreichischen Handelsverbands. Er betont: „Heimische Händler vernichten in der Regel keine funktionsfähigen Artikel.“ Es möge im Onlinehandel durchaus Betriebe geben, die Retouren vernichten. Das seien aber großteils keine europäischen Händler, sondern in erster Linie chinesische Anbieter, die ihre Billigware über eCommerce-Plattformen wie Amazon, AliExpress oder Wish in Europa anböten. Der Handelsverband ist daher gegen schärfere Regeln: „Eine Obhutspflicht für deutsche oder europäische Händler hätte keinerlei positive ökologische Wirkung.“ Stattdessen brächte dies neue bürokratische Hürden. Profitieren würden einmal mehr die milliardenschweren Marktplätze aus Asien und den USA, hieß es.

Im weltweiten Onlinehandel werden laut Handelsverband mittlerweile rund 286 Millionen Pakete pro Jahr zurückgeschickt. Würde man all diese Pakete aneinanderreihen, könnte man damit fast dreimal die Erde umrunden. In Österreich werden im Dis­tanzhandel (Online-Shops und Versandhandel) aktuell 41 Prozent der Pakete wieder retourniert. Das geht aus der „E-Commerce-Studie Österreich 2019“ der KMU Forschung Austria hervor. Bei Kleidung und Textilien wird sogar jedes zweite Teil zurückgeschickt. Gegenüber 2018 gibt es bei der Retourenquote zwar einen leichten Rückgang, aber der Wert liegt weiterhin auf einem höheren Niveau als in den Jahren davor.

Rund 5,1 Mio. Österreicher kaufen bereits online oder im Versandhandel ein – Tendenz weiter steigend. Zwischen Mai 2018 und April 2019 gaben die Landsleute in Summe 8,1 Milliarden Euro aus. Das sind um 200 Millionen oder drei Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Fast zwei Milliarden zahlten die Österreicher online für Mode und Textilien, 1,2 Milliarden für Elektrogeräte und 600 Millionen für Bücher und Zeitschriften.

Jeder zehnte Euro, der in Österreich ausgegeben wird, fließt in den Internet-Einzelhandel. Hier profitieren nach wie vor vor allem zwei internationale Konzerne, wie eine Marktstudie des EHI Retail Institute von 2018 zeigt: Der bei Weitem größte Online-Shop in Österreich ist Amazon. Der US-Gigant machte hierzulande zuletzt 643 Millionen Euro Umsatz. Dahinter folgt Moderiese Zalando mit 230 Millionen Euro. Der Universal Versand kommt laut der Studie auf 133,6 Millionen. Dahinter folgen mit zweistelligen Millionenumsätzen der Ottoversand, die Elekronik-Shops E-Tec und Electronic4you, Eduscho, Mediamarkt, Apple und H&M.

Marktführer Amazon hat mittlerweile auf die wachsende Kritik an vernichteten Retouren reagiert, berichtet die dpa. Seit September koste die Entsorgung nach Angaben des Unternehmens statt 10 Cent mindestens 25 Cent – genauso viel wie der Rückversand. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace und die Zeitschrift Brigitte starteten derweil eine Aktion namens #zerstörmichnicht. Dabei kommen Sticker mit der Aufschrift „Stopp! Diese Rücksendung nicht schreddern“ zum Einsatz, die Kunden auf Packerl kleben und Bilder davon in den sozialen Netzwerken posten sollen.

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