Viel Arbeit, wenig Geld: Zahl der Gasthöfe hat sich halbiert
Eine Wirtshauspleite jagt die nächste. Die Zahl der klassischen Tiroler Gasthäuser ist rückläufig. Deren Zahl ist innerhalb von 40 Jahren von rund 16.000 in Tirol auf 8500 gesunken.
Von Liane Pircher und Anita Heubacher
Innsbruck — Insgesamt ist die Zahl der Gasthäuser und Restaurants, anders als man es wahrnimmt, gestiegen. Allerdings haben Pizza, Kebab und die Frühlingsrolle den Tiroler Kasknödel verdrängt.
Das klassische Tiroler Wirtshaussterben findet statt. Vor allem am Land, aber auch vermehrt in Bezirksstädten. In Innsbruck hat es zuletzt viele Traditionshäuser erwischt. Während die einen still verschwinden, verabschieden sich andere mit lauter Wehmut: So sagt das Traditionsgasthaus Lewisch im Innsbrucker Saggen demnächst an vier speziellen Musik-Abenden „Servus" zu seinen Gästen. Mit Ende dieses Jahres ist dann auch dieses Gasthaus nach 100 Jahren Bestehen Geschichte. Es gibt keine Nachfolge. Neben der Insolvenz ist das die häufigste Ursache für Schließungen.
Vereinslokale als Zankapfel
Die Erklärungsmodelle liefern Branchenvertreter. „Es bleibt einfach zu wenig hängen", meint Peter Weigand vom Verein Tiroler Wirtshauskultur. Der Arbeitseinsatz sei sehr hoch, ebenso wie die Personalkosten und der Wareneinsatz. „Ein Rindsfilet aus der Region findet sich zu Recht mit 38 Euro auf der Speisekarte, sonst ist es nicht kostendeckend." Preise im Wirtshaus würden oft durch Billigstessen in Möbelhäusern als zu hoch empfunden.
Arg zugesetzt hätten der Branche auch Vereinslokale, die mit öffentlichen Geldern unterstützt würden, ärgert sich Weigand. „Ohne behördliche Auflagen wird da Bier aus der Schankanlage, die der Verein aus der Konkursmasse eines Wirts gekauft hat, ausgeschenkt." Eine Fehlentwicklung, die seit 30 Jahren in Tirol von der Politik kultiviert worden sei.
Während Feuerwehr, Musikverein und Co. vor sich hinwerken dürften, müsse ein Gastronom einen behördlichen Spießrutenlauf auf sich nehmen, um überhaupt starten zu können.
"Den klassischen Stammtisch gibt es nicht mehr"
Vereine, Billigessen und letztlich die heimische Hotellerie, die den Gast durch Verwöhnpensionen gar nicht mehr außer Haus lassen würde, hätten zum Wirtshaussterben beigetragen. „Ohne Übernachtung geht es gar nicht mehr. Ein reines Wirtshaus rechnet sich nicht." Diese Erfahrung hat auch Daniel Schilcher als Pächter und Koch gemacht. Vor drei Jahren hat er sich über den seit dem 16. Jahrhundert als Gasthaus bestehenden Mellaunerhof in Pettnau „drübergetraut", wie er sagt.
Sein Gasthaus funktioniert gut. Ganz so einfach sei die Sache aber nicht. Denn ohne Zimmer- und Seminarraum-Vermietung würde auch sein Konzept der regionalen Küche nicht aufgehen: „Heute pflegen die Leute ihre Sozialkontakte über WhatsApp und Facebook, den klassischen Stammtisch gibt es praktisch nicht mehr, und die meisten Familien essen zu Hause bzw. müssen überlegen, wie oft sie es sich leisten können, auswärts essen zu gehen. Man kann mit gutem Kochhandwerk zwar beim Gast punkten, aber man braucht zum Wirtshaus noch andere Ideen", sagt er.
"Was zählt, ist Qualität und Mut"
Die erst 21-jährige Kufsteinerin Viktoria Fahringer hat nicht lange überlegen müssen, ob sie den Tiroler Hof in Kufstein weiterführen will oder nicht. „Ich bin mit dem Haus aufgewachsen und wollte es auf jeden Fall machen", sagt sie. Seit Jänner diesen Jahres ist sie die Chefin. Das Haus läuft gut, die Übergabe selbst sei aber ein „immenser bürokratischer Dschungel" gewesen.
Aus dem einst klassischen Wirtshaus hatten schon die Eltern ein Gourmetwirtshaus gemacht, die Tochter erweiterte mit In-Room-Spa-Appartements und einem Boutique-Hotel, gründete dazu eine Kochschule für Hobbyköche. Man müsse neu denken. Neu gedacht hat Fahringer u.a. auch bei den Öffnungszeiten für das Wirtshaus, die teils auf Donnerstag bis Montag verkürzt wurden.
Außerdem brauche es den Mut ein Konzept konsequent durchzuziehen, sie setze ausschließlich auf regionale, handgemachte Küche. Auf Familienarbeit. Auf hochwertige Produkte aus der Nähe. Auf Handwerk. Auf gute Mitarbeiter, um die man sich kümmert. Sie bietet Tiroler Wirtshausküche aber auch Kreativ-Küche an. „Wenn man auf Qualität, Leidenschaft, Ideen und persönlichen Umgang mit dem Gast setzt, funktioniert es", sagt sie.
80 Prozent der Häuser, die unter dem Emblem der Tiroler Wirtshauskultur firmieren, hätten Übernachtungsmöglichkeiten, sagt Weigand. Er glaubt auch dass die Öffnungszeiten der Häuser weiter reduziert werden. Das bestätigt Alois Rainer, Spartenobmann in der Wirtschaftskammer. In seinem Haus gibt es seit wenigen Jahren einen Ruhetag pro Woche, aber auch Betriebsurlaube im Frühling und Herbst. „Früher hatten wir an zwei Tagen im Jahr zu." Um Einheimische für die Gastronomie zu gewinnen, hat Rainer sehr flexible Arbeitszeiten eingeführt.
"Bei behördlichen Auflagen päpstlicher als der Papst"
„Das Wirtshaussterben ist ein schleichender Prozess", sagt er. Auch Rainer meint das klassische Wirtshaus, nicht so sehr die Zahl der Betriebe in ihrer Gesamtheit. „Da wird eben aus dem Tiroler Gasthaus eine Pizzeria." Angefressen ist der Wirtschaftskämmerer auf die Bürokratie: „Bei den behördlichen Auflagen ist Österreich päpstlicher als der Papst."
Das sieht auch Schilcher so, und: „Die Gesamtkosten erschlagen einen als Wirt, man hat zu viele Pflichtbeiträge zu tragen. Dazu sind die Lohnnebenkosten hoch." Der Gast sehe nur den Preis auf der Speisekarte, aber nicht, wie wenig den Wirten davon wirklich bleibe. Gute, regionale Qualität habe ihren Preis. Auch gutes Personal. Wären etwa die Lohnnebenkosten geringer, könnte man Mitarbeitern mehr netto lassen: „Damit würden auch die Jobs attraktiver werden."