Hintergrund

Boeing in der Krise: Wie teuer wird das 737-Max-Debakel noch?

Im Cockpit einer Boeing 737 MAX.
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Boeing ist nach zwei Flugzeugabstürzen in eine tiefe Krise geraten. Jetzt lieferte der Konzern erstmals Zahlen, seit die Unglücksflieger vom Typ 737 Max aus dem Verkehr gezogen wurden. Die Bilanz litt bereits stark - und das dürfte erst der Anfang gewesen sein.

Chicago — Zwei Unglücke und ein schlimmer Verdacht: Der US-Luftfahrtriese Boeing steht nach den Flugzeugabstürzen in Indonesien und Äthiopien massiv in der Kritik und kämpft um seinen Ruf. „Diese letzten Wochen waren die herzzerreißendsten meiner Karriere", sagte Konzernchef Dennis Muilenburg kürzlich. Nun legte Boeing den ersten Geschäftsbericht seit den weltweiten Startverboten für die Baureihe 737 Max vor - und darin machten sich die Probleme mit den Unglücksfliegern bereits stark bemerkbar.

Dennis Muilenburg, der CEO des US-Flugzeugbauers Boeing.
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Boeings Aktionäre wollten vor allem eines wissen: Wie hoch wird die Rechnung für das 737-Max-Debakel ausfallen? Doch eine richtige Antwort auf diese Frage lieferte Muilenburg nicht. Weil die Folgen der Krise des meistverkauften Flugzeugtyps noch nicht absehbar seien, machte Boeing keine Angaben zur künftigen finanziellen Belastung. Die bisherigen Jahresziele wurden jedoch schon gestrichen. Und die Bilanz im Auftaktquartal litt stark.

Gewinn im Jahresvergleich um 13 eingebrochen

Boeings Gewinn brach im Jahresvergleich um 13 Prozent auf 2,1 Milliarden Dollar (1,9 Mrd Euro) ein. Der Konzern bezifferte die Kosten durch die 737-Max-Krise für das abgelaufene Quartal auf über eine Milliarde Dollar. Der Umsatz sank um zwei Prozent auf 22,9 Milliarden Dollar. Damit fielen die Ergebnisse insgesamt zwar schlechter als an der Wall Street erwartet aus. Dennoch reagierten Anleger zunächst gelassen, was auch am Ausbleiben weiterer Hiobsbotschaften und Beteuerungen Muilenburgs zu Fortschritten bei der Wiederzulassung der 737-Max-Flieger gelegen haben dürfte.

Nach den Unglücken in Indonesien und Äthiopien, bei denen insgesamt 346 Menschen ums Leben gekommen waren, wurden weltweit Startverbote für Boeings absatzstärkste Baureihe 737 Max erlassen. Die Flugzeuge können deshalb derzeit nicht ausgeliefert werden, die Produktion der Flieger wurde bereits deutlich gedrosselt. Wegen der noch nicht abschließend geklärten Unfallursachen und Probleme mit einer Steuerungssoftware ist unklar, ob und wann die 737-Max-Maschinen wieder in die Luft gelassen werden. Nach jüngsten Angaben der US-Luftfahrtbehörde FAA dürfte es noch mindestens drei Monate dauern.

157 Menschen kamen bei dem Absturz in Äthiopien ums Leben.
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Für Boeings Geschäft ist die 737-Max-Baureihe von enormer Bedeutung. Laut Analysten der Berenberg Bank steuerte die Serie bisher knapp ein Drittel zum Umsatz und einen Großteil des Gewinns bei. Boeing hat zuletzt keine neuen Aufträge für die Maschinen erhalten, sitzt aber nach wie vor auf Tausenden Bestellungen - bislang halten sich die Airlines mit Stornierungen zurück. Das ist aber weniger ein Vertrauensbeweis als dem Markt an kleineren Passagierflugzeuge geschuldet. Der bietet außer dem Konkurrenzmodell A320neo von Airbus - das auf Jahre ausgebucht ist - kaum Alternativen.

Lage für Boeing wird immer kritischer

Doch auch wenn ein massenhafter Umstieg und eine Stornierungswelle von Fluggesellschaften schon allein aus Mangel an Ausweichmöglichkeiten als unwahrscheinlich gilt, wird die Lage für Boeing immer kritischer. Je länger sich die Flugverbote hinziehen, desto stärker gerät der Hersteller gegenüber Kunden in Verzug, was zu Regressforderungen führen kann. Zudem ist es bereits ein logistischer Kraftakt, die vielen Maschinen zu lagern. Brisanter als diese operativen Probleme könnte aber Boeings Rolle bei den Abstürzen sein.

Denn nachdem der Konzern Sicherheitsrisiken der 737 Max anfangs noch beharrlich zurückgewiesen hatte, räumte Boeing nach und nach immer deutlicher Probleme mit der Steuerungssoftware MCAS ein. Die lassen sich mittlerweile auch kaum noch bestreiten: Denn die vorläufigen Ermittlungsberichte zu den beiden Abstürzen deuten ziemlich klar darauf hin, dass das System fälschlicherweise aktiviert wurde und die Maschinen Richtung Boden lenkte. Damit erhärtet sich der schlimme Verdacht, dass ein Herstellerfehler für die Unglücke verantwortlich sein könnte.

Teile eines Triebwerks einer abgestürzten Lion-Air-Maschine.
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Für Boeing wäre dies in mehrerer Hinsicht hochbrisant. Die MCAS-Automatik stand schon nach dem Absturz in Indonesien am 29. Oktober stark in der Kritik. Der Konzern versprach damals bereits ein Update, stritt aber energisch ab, dass es Sicherheitsprobleme gebe. Am 10. März kam es dann zum Absturz der baugleichen 737 Max in Äthiopien, der starke Ähnlichkeiten mit dem ersten hatte. Seitdem ist Boeing mit schweren Vorwürfen und großem Misstrauen konfrontiert. Auch rechtlich könnte der Fall Boeing massiv unter Druck bringen.

Etliche Klagen von Angehörigen der Absturzopfer liegen vor

Es liegen bereits etliche Klagen von Angehörigen der Absturzopfer vor. Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass eine hausgemachte fehlerhafte Software der entscheidende Faktor bei den Unglücken war, so würde Boeing eine viel weitreichendere Haftung mit deutlich höherem Schadenersatz drohen. Zudem muss Boeing die staatlichen Strafverfolger fürchten. Der Konzern wird verdächtigt, bei der 737-Max-Zulassung Informationen unterschlagen zu haben, was die Angelegenheit zum Kriminalfall machen könnte.

Die schlechten Nachrichten für Boeing rissen zuletzt nicht ab. Anfang des Monats musste der Konzern zugeben, dass es neben dem MCAS-Programm ein weiteres, möglicherweise sicherheitsrelevantes Softwareproblem bei der 737 Max gibt. Am Freitag kündigte die US-Luftfahrtbehörde FAA dann an, dass das Verfahren zur Wiederzulassung der Unglücksflieger noch mindestens bis Ende Juli dauern dürfte. Und am Sonntag brachte ein Bericht der „New York Times" über angebliche Produktionsmängel beim Langstreckenjet 787 „Dreamliner" Boeing weiter in die Bredouille.

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