Fabienne zeigt wahre Größe
Selbstbewusstsein, starke Familienbande, Integration und viel Humor sind das Maß aller Dinge. Trotz ihrer Kleinwüchsigkeit meistert Fabienne Feuchter aus Mieming ihr Leben mit Bravour.
Von Nicole Strozzi
Mieming – Einen Meter und 25 Zentimeter groß ist Fabienne Feuchter aus Mieming. Ganz normal für eine Achtjährige, möchte man meinen. Doch was ist schon normal im Leben? Fabi, wie sie von ihrer Familie genannt wird, ist nämlich nicht acht, sondern 13 und somit fast um ein Jahr älter als ihr Cousin Luca, der sie um mehrere Köpfe überragt. „Ich bin kleinwüchsig“, sagt das Mädchen immer ganz selbstbewusst, wenn ihr die Leute hinterherschauen.
Gestarrt wurde vor allem, als Fabienne noch kleiner war. Mit drei Jahren maß der quirrlige Lockenkopf gerade einmal 50 Zentimeter und wog 3,5 Kilo. Fabi sah aus wie ein Baby, konnte aber gehen und sprechen. Die Menschen auf der Straße staunten nicht schlecht, als ein Kleinstkind an ihnen vorbeilief und dabei quasselte.
Ihr großes Selbstbewusstsein verdankt Fabienne in erster Linie ihrer Familie. Mama Evelyn und Oma Gertrud stehen wie ein Fels hinter ihrer Tochter bzw. Enkelin, haben von Anfang an ihre Kleinwüchsigkeit akzeptiert und seit dem Tag ihrer Geburt täglich mit Fabienne gearbeitet. „Die Ärzte sagten damals, Fabi würde erst mit acht Jahren zu gehen beginnen, doch sie schaffte es mit zweieinhalb“, erzählt ihre Oma voller Stolz.
Fabienne leidet an einer seltenen genetisch bedingten Form des Kleinwuchses, dem so genannten Silver-Russell-Syndrom. Laut Gertrud Feuchter ein Einzelfall in Österreich. Fabis „Knochenalter“ beträgt derzeit acht Jahre, auch ihre Stimme hört sich kindlich an, doch wenn es um soziale Aspekte geht, ist das Mädchen reifer als manch anderer.
Bei ihren regelmäßigen Besuchen im Seniorenheim zaubert sie beispielsweise den alten Menschen ein Lächeln aufs Gesicht. „Sie ist ein Sonnenschein“, sagt ihre Mama, während ihre Tochter bei unserem Fotoshooting alle mit ihrer guten Laune ansteckt. Obwohl sie Rosarot „nicht mehr sehen kann“, trägt sie beim Interview Hose und T-Shirt in Pink. Es ist gar nicht so einfach, in Größe 140 eine andere Farbe zu finden, ärgert sich Fabienne, die bis zum zehnten Lebensjahr Babykleidung tragen musste.
Grund zum Ärgern hat die 13-Jährige ansonsten eigentlich wenig. Obwohl keiner damit rechnete, besucht sie dank täglichem, stundenlangem Lerntraining die erste Klasse der Hauptschule in Telfs, ist dort super integriert, schreibt trotz ihrer Rechenschwäche sogar in Mathe gute Noten, hat viele gleichaltrige Freunde und lernt in ihrer Freizeit Karate. Gesundheitlich geht es ihr – trotz einer schweren Augen-OP – gut. Medikamente braucht sie keine.
Nur bemuttert oder wie ein Baby behandelt werden will sie nicht, sagt Fabienne. Denn zu helfen weiß sie sich selbst, das hat sie bereits vor ihrem Karateunterricht gelernt. Schon als Kleinkind wusste Fabi, dass man mit Kochlöffeln Lichtschalter anknipst, mit Bändern Türschnallen schließt und mit einem Stockerl zu den oberen Stellagen gelangt. „Geschichten über Fabi gibt es genug zu erzählen“, meint ihre Oma, während sie im Fotoalbum blättert und Fabiennes erste Schuhe – eine Sonderanfertigung aus Amerika in Größe 7! – hervorholt. Etwa jene, als Fabi zehn Jahre und allein im Ort unterwegs war, die Polizei stehen blieb und nach ihrer Mama fragte. Fabi erklärte, dass sie schon zehn sei, die Polizisten glaubten ihr aber nicht und wollten sie nach Hause bringen. „Ins Auto eingestiegen ist Fabi aber nicht. ‚Wer sagt mir, dass ihr echt seid?‘, hat sie stattdessen geantwortet“, so die Oma.
Zum Lachen zumute war Mama Evelyn vor 13 Jahren keineswegs. „Bis zur 32. Schwangerschaftswoche war alles normal, dann hieß es, mein Kind sei zu klein“, erinnert sich die 38-jährige Lehrerin. Zwei Wochen später wurde Fabienne per Kaiserschnitt geholt. Sie wog 1,30 Kilo und war 35 Zentimeter groß. Noch nicht einmal bei der Entlassung kannte Evelyn Feuchter die genaue Diagnose. „Erst unser Arzt, Dr. Peter Herzog aus Imst, klärte uns über die Krankheit auf und hat uns viele Ängste genommen“, sind die Feuchters dankbar.
Die Familie ist sich bewusst, dass sie großes Glück hatte mit ihrem Arzt, mit der Kindergartenpädagogin Barbara Falch, die Fabienne als Dreijährige sogar mit der Babykraxe zum Martinsumzug mitnahm, mit der jetzigen Schulwahl und dem Verein „Bundesverband kleinwüchsiger Menschen“, der eine große Stütze ist. Wie viel Fabienne noch wachsen wird, weiß keiner genau. Aber ihre Oma sagt: „Um Fabi mach ich mir keine Sorgen. Sie wird ihren Weg gehen.“ Auf Augenhöhe mit allen anderen.