In der weißen Zone: „Die Grammatik der Zeit“ von Patricia Brooks
Klosterneuburg (APA) - „Als wäre zwischen mir und meinen Gefühlen ein Leerraum, eine weiße Zone:“ In ihrem neuen Roman „Die Grammatik der Ze...
Klosterneuburg (APA) - „Als wäre zwischen mir und meinen Gefühlen ein Leerraum, eine weiße Zone:“ In ihrem neuen Roman „Die Grammatik der Zeit“ entwirft Patricia Brooks das Bild eines erfolgreichen Enddreißigers, dessen Wahrnehmung auf merkwürdige Weise in Verstörung mündet.
Eine „Grammatik der Gefühle“ hat der deutsche Psychoanalytiker Tilmann Moser 1979 vorgelegt - als Studie über die emotionale Entwicklung der ersten Lebensjahre. Bei der in Wien geborenen, in Klosterneuburg lebenden Autorin ist ein namenloser Ich-Erzähler der „Grammatik der Zeit“ auf der Spur: einerseits in Form eines von ihm programmierten Computerspiels, das einen Steuerungsfehler aufweist, dessen Ursache er nicht findet, andererseits angesichts seines konfusen Privatlebens, „ein Plot, der aus dem Ruder zu laufen droht“.
Seine Freundin Sylvie hat ihn verlassen, was er mit seltsamem Gleichmut zur Kenntnis nimmt. Eine mysteriöse Tänzerin tritt in sein Leben, das von zunehmender Verunsicherung geprägt ist: Drehen alle rundum durch, oder verliert er selbst den Verstand? „In der digitalen Welt läuft es für mich besser als in der echten“, lautet eine der seltenen Selbsterkenntnisse, die gelegentlich aphoristische Bonmot-Qualität erreichen: „Wahrscheinlich hat jede Beziehung ein Ablaufdatum, an dem ihr inneres Feuer allmählich zu einer Notbeleuchtung herunterbrennt.“
Um Gefühle geht es also auch hier - und um die (Un-)Fähigkeit, mit ihnen umzugehen, sowie um das (Un-)Verständnis für daraus resultierende Probleme. Unser Erzähler wird diesbezüglich nicht sonderlich von Selbstzweifeln geplagt: Probleme kommen von außen, also von den anderen. Tilmann Moser hat er sicher nicht gelesen. Aber Watzlawick lässt kurz grüßen: „Die Wirklichkeit ist eine Möglichkeit, die durch Zufall oder durch eine Entscheidung aus der Möglichkeitsform in eine Wirklichkeitsform übertragen wird. Vielleicht ist sie auch nur eine Behauptung?“
Dabei kommt die enigmatische Geschichte gar nicht so philosophisch abstrakt daher, sondern sehr erzählfreudig. Als Leser erfährt man allerlei ausgiebige Details über den Freundes- und Bekanntenkreis des Protagonisten, sein berufliches und soziales Umfeld, sogar seine kulinarischen Vorlieben. So liest sich denn das Buch von der ersten bis zur letzten Seite mit dem Suchtfaktor von Knabberzeug: ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Leider sind dem Lektorat zahlreiche Beistrichfehler und sonstige Flüchtigkeiten entwischt.
Am Ende der Lektüre teilt man mit dem Erzähler die Ungewissheit darüber, was denn nun wirklich vorgefallen ist, denn etliche Begebenheiten lassen sich nicht mehr mit rationalen Mitteln erklären. Dinge verschwinden, Verlorenes taucht auf, Stattgefundenes wird infrage gestellt, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verschwimmen. Die Ausgangssituation wiederholt sich letztlich unter offenkundig besseren Vorzeichen, ganz als gebe es eine zweite Chance. War alles davor ein kathartischer Traum, oder entspringt der vage optimistische Schluss bloß einem Wunschtraum - trotz ungelöster Rätsel ist man versucht, ersteres zu hoffen.
(S E R V I C E - Patricia Brooks, „Die Grammatik der Zeit“. Verlag Wortreich, Wien, 280 Seiten, 19,90 Euro)