Bühne

Wenn das „Weib“ erwacht und es wagt

© APA/ROBERT JAEGER

Schönherrs „Weibsteufel“ und Ibsens „Bankier Borkman“ bei den Festspielen in Reichenau.

Von Ursula Strohal

Reichenau an der Rax –Die Festspiele Reichenau an der Rax, rund eine Fahrstunde von Wien entfernt, sind bekannt für hohen darstellerischen Anspruch und die bewusste Gegenposition zum zeitgenössischen Regietheater. Mit neuerdings zwei Spielstätten und ca. 120 Vorstellungen dürfte die Auslastung auch heuer bei 100 Prozent liegen. Schauspielertheater auf der Basis starker Stoffe wird hier erwartet und dem durchwegs älteren Pu­blikum geboten, das hier auch von namhaften Regisseuren ästhetisch nichts zu befürchten hat. Spannend wird es, wenn Schauspieler zu ihren Regie-Debüts eingeladen werden. Wie heuer Bernhard Schir, der aus Tirol stammende, vielgefragte Schauspieler, der Karl Schönherrs „Der Weibsteufel“ in den neuen Bühnenraum stellte. Mit Katharina Straßer in der Titelrolle, Marcello de Nardo als ihr Ehemann und neuen Sichtweisen auf Stück und Figuren.

Schnitzler und Ibsen werden heuer zudem in Reichenau gespielt und deren Psychotrips haben in Schönherrs Dreiecksgeschichte mehr als eine Ergänzung. „Der Weibs­teufel“ legt in schonungsloser Konzentration Motive und Mechanismen bloß, die Schnitzler und Ibsen in variierter Grundierung feiner vernetzen. Schir verdeutlicht, was sich entwickeln kann, wenn auf der Basis von Sehnsüchten, Gier, Unterdrückung, Machtspiel und unerfüllten Bedürfnissen sich diese Mechanismen verselbstständigen.

Dabei zeigt er „das Weib“ eher als erwachendes Teufelsweib denn als Weibsteufel – ein liebes Ding, das den kraftlosen Außenseiter, der ihr kein Ehemann sein kann, als Kindersatz nimmt und durch den jungen Grenzjäger das Frausein und ihre Macht entdeckt. Dem Grenzjäger verpasst Schir in eigener Gestalt ein erstaunlich aktuelles Männerbild, testosterongesteuert, aber reflektierend, unsicher geworden durch die Erschütterung seines Rollenbildes. Straßer und Schir spielen das großartig, psychologisch kenntlich bis zum Ende, wenn „das Weib“ die Männer gegeneinander ausspielt. Schir lässt, entgegen üblicher Sicht, keinen Zweifel da­ran, dass der sexuelle Vollzug stattfindet. De Nardo gibt den verschlagenen „Mann“ ausdrucksstark, hat es sprachlich aber nicht so leicht wie die beiden – allerdings auch tirolfernen – Tiroler. Helmut Stippichs Akkordeon sieht ihnen ins Herz. Die niedere, vom Publikum umkreiste Bühne macht es Schir nicht leicht, aber er empfiehlt sich mit dieser kraftvollen, spannenden Inszenierung als Regisseur.

Bis zur letzten Stunde im Eis größenwahnsinnig aufbruchbereit: Martin Schwab (mit Julia Stemberger) als Bankier John Gabriel Borkman.
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In Reichenau stehen (Bühnenbilder: Peter Loidolt) noch Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ (Regie Michael Gampe), Schnitzlers „Professor Bernhardi“ (Hermann Beil) und das nun „Bankier Borkman“ betitelte Stück von Henrik Ibsen auf dem Programm. Alfred Kirchner zeigt in seiner handwerklichen Souveränität Borkman, herausragend dargestellt von Martin Schwab, als weltmachtbesessenen und dem Wagnerschen „Ring“-Weltbild nahen Egomanen, einen gescheiterten Wanderer auf seinen letzten eisigen Metern. Die Schwestern Gunhild und Ella haben in Regina Fritsch und Julia Stemberger starke Vertreterinnen, Gunhild hysterisch geifernd, Ella Emotion und Wärme verteidigend. Der junge Erhart Borkman (begabt: Stefan Gorski) entzieht sich dem familiären Geisterspektakel. Sehr menschlich Hans Dieter Knebels Foldal. Wie im „Weibsteufel“ wird auch hier intensiv mit Licht gearbeitet.