Zehn Jahre Youtube: Kein Wissenstransfer im Talentepool
Vor zehn Jahren wurde Youtube gegründet, zum Jubiläum werden die neuen Stars des sozialen Netzwerks auch in klassischen Medien sichtbar. Doch der Nachwuchs hat es in kommerziellen Strukturen zunehmend schwer.
Von Silvana Resch
Innsbruck –Die neuen Youtube-Stars machen Kinofilme und Kanzlerinterviews, die Amateure, die auf der Videoplattform ihre ersten Gehversuche unternommen haben, zieht es mittlerweile aber zu größeren Medienunternehmen: „Ein dauerhafter Erfolg ist in der Welt der Webvideos nur schwer zu halten. Man ist auch sehr schnell wieder weg vom Fenster“, sagt der Soziologe Boris Traue von der Leuphana Universität Lüneburg. Zehn Jahre nach dem Start des sozialen Netzwerkes halten viele Jugendliche den Beruf Youtuber für eine ernsthafte Perspektive, doch nur die wenigsten können davon leben. Traue: „Damit man die Miete bezahlen kann, braucht es ungefähr eine Million Klicks pro Monat.“ Der Vorwurf von Schleichwerbung trifft Produkttestvideos und Schminktutorials daher nicht von ungefähr. „Youtube verfolgt eine sehr geschickte Strategie: Die Leute werden dazu motiviert, ihren Kanal zu monetarisieren, das heißt Werbung bei ihren Clips zuzulassen. Die generierten Klicks werden auf einem Konto abgelegt, aber erst ab einem gewissen Wert ausgeschüttet, das heißt die allermeisten kriegen gar nichts.“ So sind die Videoproduzenten leichte Beute für die Unternehmen, die die Youtuber ohnedies stark hofieren. „Dass sie Werbung machen, geben viele in ihren Videos auch ganz offen zu“, so Traue.
Dass ausgerechnet Youtube-Star LeFloid bei seinem Interview mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, nicht gekauft worden zu sein, empfindet der Medienwissenschafter hingegen als „kokett“. Genießt doch der 27-jährige Student das ungebrochene Vertrauen einer vorwiegend sehr jungen Netzgemeinde. Von seinem Vermarkter Mediakraft, der Youtuber technisch unterstützt, aber auch bei Reichweitenvergrößerung und Produktion hilft, hatte sich LeFloid trotz „Knebelvertrag“ öffentlichkeitswirksam verabschiedet. Die Netzwerke, die als die neuen Meinungsführer gelten, sehen sich seit ihrem Aufstieg mit Vorwürfen der Kommerzialisierung und der Konzentration auf einige wenige Medienstars konfrontiert. „Youtube hat die Professionalisierung des Contents an Medienagenturen abgegeben. Das sind im Wesentlichen Fernsehleute.“ Diese Strategie sei einerseits sehr erfolgreich, weil es dieser Art gelinge, regelmäßig Content zu liefern. Doch in der Generation der Medienamateure habe sich eine gewisse Skepsis gegenüber „dieser Form der Professionalisierung“ entwickelt, in der einige wenige als potenzielle Stars herausgefiltert und stark gefördert werden. Die jüngeren Webvideoamateure würden sich gegen „die Reduktion auf ein Talentepool wehren“, glaubt Traue.
Diversität liege paradoxerweise gar nicht im Interesse von Youtube: „Die Videoplattform braucht zwar das Image des Pluralismus, des Mitmachens, aber für die Unterbringung von Werbung ist das nicht von Vorteil.“ Es brauche ein möglichst stabiles Publikum, das auf möglichst wenige Kanäle verteilt wird, so der Wissenschafter. Diese Strategie verfolge Youtube auch in eigenen Workshops, bei denen die Contentproduzenten dazu ermutigt werden, sich an eine fernsehartige Programmstruktur zu halten, „das heißt, wöchentlich Content zu liefern und bei einem Genre wie etwa Comedy zu bleiben“.
Die Kommerzialisierung bedinge auch die konservative Geschlechterpolitik. „Es ist freilich leichter, Frauen im Schminksektor zu platzieren als in Videogames.“ Schließlich sei auch das Publikum sehr konservativ. „Wir haben mit vielen jungen Frauen und Männern gesprochen, die andere Dinge ausprobiert haben, aber das wegen heftiger Anfeindungen wieder gelassen haben. Das ist für vereinzelte Medienproduzenten, wenn sie nicht entsprechend organisiert sind, nur schwer auszuhalten.“
Mangelnde Vernetzung und fehlende Kontinuität zählen für Traue zu den größten Nachteilen. „Der wesentliche Unterschied von Youtube zu den älteren Bürgermedien ist, dass es keinen Wissenstransfer von den Älteren zu den Jüngeren gibt, die Jüngeren erfinden das jetzt alles noch mal neu.“ Davon zeuge auch das unkritische Interview LeFloids mit Merkel. „Man merkt, dass es da keine Bürgermedien-Bewegung gibt, es mangelt an Erfahrung, es ist ja auch ein großer Sprung vom Einzelberichterstatter zum Interviewer der Kanzlerin.“ Würden sich die Medienamateure stärker organisieren, könnten sie aus Sicht des Experten mehr Einfluss geltend machen.