Turandot in Bregenz: Eine Oper, keine Stuntshow
Die Bregenzer Festspiele verzeichnen mit Paolo Carignanis und Marco Arturo Marellis „Turandot“ den ersten Erfolg der Ära Sobotka auf der Seebühne.
Von Ursula Strohal
Bregenz –Aus dem Bodensee windet sich die chinesische Mauer, gekrönt von einem Turm mit rotem Teehaus. Schöne Damen lassen sich hier blicken. Auf dem entfernten linken Turm geht es rauer zu, da werden Prinzen geköpft und in die Tiefe geworfen. Prinzessin Turandot, die ihre panische Angst vor Sexualität hinter Grausamkeit verbirgt, hält sich die Männer vom Leib, indem sie die Kandidaten mit (fast) unlösbaren Rätseln versorgt. Wer sie nicht löst, wird gemeuchelt. Das Volk ist heiß auf die Spektakel, ersehnt aber die Liebesfähigkeit der Prinzessin und dadurch die Erlösung aus den Grausamkeiten des Regimes. Ihm gegenüber steht eine dekadent verzerrte höfische Gesellschaft.
Marco Arturo Marelli, für Bühnenbild und Inszenierung von Giacomo Puccinis „Turandot“ verantwortlich, zeigt, dass sich deutungsoffene Bezüge, geschmackvolle Dosierung und eine ästhetische Grundierung weder bei „Turandot“ noch der Bregenzer Seebühne ausschließen. Er erzählt die Geschichte begreifbar, lässt Feuerkünstler, Akrobaten und Kampftänzer ihre Feste feiern, die Prinzessin in einer lampiongeschmückten Barke vorbeischaukeln, den persischen Prinzen im Kahn anreisen und zur Hochzeit Stabpuppenspieler Drachen schlängeln. Im finalen Bild, wenn Calaf die Nuss geknackt, das Volk sich aus dem Einheitsgrau der Unterdrückung befreit hat und in strahlendem Weiß Massenhochzeit feiert, schießen meterhohe Wasserfontänen aus der Mauer.
Im übrigen widersteht Marelli entlang der 72 Meter langen Mauer dekorativen „Turandot“-Verlockungen und hält sich mit spektakulären Acts zurück. Er zeigt, optisch durchaus aufbereitet, eine Oper, keine Stuntshow. Zauberhaft der Mondchor, unergründlich das Maskenspiel, das sowohl auf Turandots verborgene Ängste als auch auf die asiatische Theatertradition verweist. Und natürlich doch noch spektakulär die 200 Krieger, hinter der Mauer und im Wasser, Symbol durch die Jahrtausende gegenwärtiger Staatsmacht und Zitat der Terrakotta-Armee.
Die Aktionen finden hauptsächlich in der Bühnenmitte rund um die multifunktionale Drehbühne statt, die ebenso zum Thronsaal wie zur Schmiede und Bibliothek der Minister wird und deren „Deckel“ sich für Videobespielung (Aron Kitzig) hebt. Farbe, Lichtgestaltung (Davy Cunningham) und Atmosphäre sind Themen dieser Inszenierung, die Kostüme von Constance Hoffman erzählen die Geschichte mit, meisterhaft ihre stilisierte Verschmelzung der Maskentradition des alten China mit jener der Commedia-dell’Arte.
Nicht immer präsent auf der Riesenbühne wird Marellis Einfall, Calaf in den Anzug des Giacomo Puccini zu stecken und in einem der Bühne vorgelagerten Zimmer ans Klavier zu setzen. Dort geraten ihm die Noten durcheinander, dort ist Calaf ans Bett gefesselt, wie auch Puccini, der in seinen letzten Lebenswochen Skizzen niederschrieb zur Vollendung der Oper, von der er nicht wusste, wie sie denn zu vollenden sei. Der Komponist Franco Alfano hat die Arbeit übernommen. Seine lange Fassung des Finales, die man kaum zu hören bekommt, wird großteils in Bregenz gespielt und gibt Turandot, die sich den noch gefesselten Calaf erobert, endlich Zeit zum Sinneswandel.
Die Aufführung wird von Paolo Carignani am Pult der Wiener Symphoniker stark geprägt. Wie Marelli setzt er sich nicht nur mit den Massenszenen und bekanntesten Arien durch („Nessun dorma“), sondern holt auch den Stimmungszauber der Partitur in die Nacht und Details, denen die Bühne Raum lässt. Den Sängern war, jedem auf seine Weise, Anfangsnervosität anzuhören: Riccardo Massi als Calaf noch gedeckt, die Liù der Guanqun Yu zu robust, zu tremolierend die Turandot der Mlada Khudoley. Dann sangen sie sich frei, Liù ließ ihr Timbre aufblühen, Turandot zeigte eiserne Spitzentöne und lyrische Momente, Calaf brachte, was er musste. Ausdrucksvoll die Väter des finalen Liebespaares, Altoum (Manuel von Senden) und Timur (Michael Ryssov, ebenso die köstlichen Minister (Andrè Schuen, Taylan Reinhard, Cosmin Ifrim). Sicher die Chöre aus Bregenz und Prag, innerhalb der immer wieder überraschenden Klangregie nur seltsam, wenn sie – von der Bühne und aus dem Festspiel- haus – aufeinandertreffen.