Mehr Pipelines in den Westen
Moskau droht, die Ukraine ganz vom Erdgas abzuschneiden. Ein großer Pipeline-Ausbau soll die Versorgung in Westeuropa verbessern. Österreich dürfte profitieren, die OMV ist an Bord.
Berlin, Kiew –Moskau treibt den Ausbau seiner Pipelines nach Europa voran und droht die Ukraine komplett vom Gas aus dem Osten abzuschneiden. In Westeuropa wird die Versorgung dank milliardenschwerer neuer Pipeline-Projekte dagegen wohl stabiler.
Als der Kreml-gesteuerte Staatsmonopolist Gazprom Mitte Juni beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg verkündete, die Ostsee-Leitung Nord Stream mit westlichen Partnern um zwei weitere Rohre auszubauen, war nicht nur in Kiew die Verwunderung groß. In der Politik mögen sich Russland und der Westen weiter mit Sanktionen überziehen; gemeinsame Energie-Interessen scheinen davon wenig berührt zu sein.
Zu den Profiteuren des Pipeline-Deals gehören unter anderen Deutschland und seine Konzerne, wie etwa Eon erklärt: „Nord Stream kann mit seiner Erweiterung einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit Deutschlands und der EU leisten.“ Der britisch-niederländische Rohstoffriese Shell, aber auch der heimische Konzern OMV beteiligen sich ebenfalls an den Plänen.
Die Konsumenten sollen künftig auf eine zuverlässigere Belieferung bauen können. Die Europäer brauchen insgesamt wohl noch mehr Erdgas, solange die erneuerbaren Energien nicht die Grundlast in der Stromproduktion tragen und die Fracking-Technik – Treiber der Schiefergas-Revolution in den USA – sich hier wegen Umweltbedenken nicht durchsetzt.
Aus der Perspektive Kiews werden die Karten mit den Pipeline-Plänen neu gemischt. Zumal ein weiteres Großprojekt hinzukommt: Im Süden soll die ausgebaute Leitung Turkish Stream (siehe Artikel unten) zur zweiten Gas-Lebensader Westeuropas werden. Spätestens nach dem Auslaufen der Lieferverträge mit Russland 2020 könnte die Ukraine dann vom großen Nachbarn abgenabelt sein. Die Charmeoffensive Moskaus an die Westkonzerne betrachtet das Land daher mit Argwohn. Seit Anfang Juli kauft man kein Gas mehr von Russland, sondern leitet nur noch die vom Westen bestellten Mengen weiter. Dabei hält sich nicht nur in Moskau der Dauerverdacht, dass immer wieder illegal abgezapft wird – die Ukraine bestreitet das.
Gleichzeitig sollen die Europäer aushelfen. Gazprom kritisiert, dass ein Teil des Gases wieder rückwärtsgepumpt wird. Solche „umgekehrten Flüsse“ seien ein Vertragsbruch. So kaufe die Ukraine etwa über den Umweg von der Slowakei Gas preiswerter ein als von Russland direkt. Zugleich benötigt das Land immer weniger Energie – wegen des Kriegs und der Wirtschaftskrise, die ganze Industriezweige zerstört haben.
2014 hatte sich der Gas-Importbedarf mehr als halbiert, knapp 74 Prozent kamen aber weiter aus Russland. Den Trennungskurs von Moskau gibt die prowestliche Führung um Präsident Petro Poroschenko vor: „In zwei Jahren werden wir das russische Gas nicht mehr brauchen.“
Die Ukrainer wollen wegen des politischen Zerwürfnisses mit Russland schlicht nicht mehr beim Nachbarn einkaufen. Rainer Wiek vom Energie-Informationsdienst in Hamburg glaubt denn auch nicht, dass Kiew vom West-Gas abgeschnitten wird. Aber: „Russland hat ein vitales Interesse daran, mit dem Westen im Geschäft zu bleiben.“ (TT, dpa)