Ankaras Kehrtwende: Türkei erklärt IS den Krieg
Der Sturz des Assad-Regimes hatte für die Türkei lange oberste Priorität. Dafür ließ Ankara sogar der IS-Terrormiliz weitgehend freie Hand. Damit ist Schluss: Ankara nimmt die Jihadisten ins Visier. Präsident Erdogan stimmt sein Volk auf einen längeren Kampf ein.
Ankara – Nach langem Zögern geht die Türkei mit massiven Angriffen gegen die Jihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien und im eigenen Land vor. Kampfjets griffen Stellungen des IS im Nachbarland an. Gleichzeitig nahm die Polizei am Freitag in einem landesweiten Großeinsatz nicht nur Islamisten, sondern auch Hunderte Kurden und Anhänger von linksradikalen Gruppen fest. Das Vorgehen gegen diese Gruppen werde fortgesetzt, kündigte Präsident Recep Tayyip Erdogan an. Zudem gab Ankara dem Drängen Washingtons nach und gestattet die Nutzung des türkischen Luftwaffenstützpunktes Incirlik für US-Kampfeinsätze gegen den IS.
Nach Angaben der Regierung stiegen am frühen Freitagmorgen drei türkische Kampfjets vom Typ F-16 vom Stützpunkt Diyarbakir auf und griffen Ziele im Norden des Nachbarlandes an. Später hieß es, die Grenze zu Syrien sei nicht verletzt worden. Damit will die Regierung in Ankara offenbar einen offenen Kriegseintritt vermeiden.
Auch im Inland gingen türkische Sicherheitskräfte massiv gegen vermutete Regierungsgegner vor. Über 250 Menschen, die verdächtigt werden, nicht Angehörige des IS aber militanter Kurdengruppen zu sein, wurden festgenommen. Laut Fernsehberichten waren an dem Großeinsatz über 5000 Polizisten und zahlreiche Hubschrauber beteiligt. Allein in Istanbul durchsuchten Spezialkräfte demnach über 100 Wohnungen. Ein weibliches Mitglied der marxistischen DHKP-C wurde bei einer Schießerei mit Polizisten im Zuge der Razzien getötet.
Präsident Erdogan sprach von neuen Schritten, die angesichts der Lage im Norden Syriens ergriffen werden mussten. Die Türkei und die USA hätten sich verpflichtet, gemeinsam gegen den IS zu kämpfen. Die „terroristischen Gruppen“ müssten ihre Waffen niederlegen oder die Konsequenzen tragen. „Die Luftangriffe diesen Morgen und die Maßnahmen gegen heimische terroristische Gruppen sind präventive Maßnahmen gegen Angriffe auf die Türkei von Innen oder von Außen“, hieß es von Seiten der Regierung. Die bisher passive Verteidigungsstrategie werde in eine aktive geändert. Der Schwenk in der bisherigen Politik gegenüber der Terrormiliz IS folgt nach einem dem IS zugeschriebenen Attentat im grenznahen Suruç am Montag, dem 32 Menschen zum Opfer fielen. Zudem lieferten sich am Donnerstag türkische Truppen mit IS-Milizionären über die Grenze hinweg ein Feuergefecht, bei dem ein Soldat und ein IS-Kämpfer getötet wurden.
Bereits am Donnerstagabend gestattete die Türkei den USA, Luftangriffe vom Stützpunkt Incirlik im Süden des Landes zu starten. Damit werden die Einsätze der von den US angeführten Koalition gegen den IS deutlich erleichtert, da sie bisher hauptsächlich von der Golfregion aus ins Kampfgebiet fliegen mussten. Bisher stritt die Türkei mit den USA über die Prioritäten bei den Einsätzen in Syrien. Für die Türkei steht insbesondere der Sturz des syrischen Präsidenten Bashar al Assad im Vordergrund. Die USA legen dagegen den Fokus auf den Kampf gegen den IS. Und: Nicht nur die Kurden werfen der Regierung in Ankara vor, ein stilles Arrangement mit dem IS eingegangen zu sein, um ein kurdisches Selbstverwaltungsgebiet im Norden Syriens als Keinmzelle für ein länderübergreifendes unabhängiges Kurdistan zu torpedieren. (APA/Reuters/AFP/jec)