Kampf gegen die IS-Miliz als Feigenblatt
Moskau (APA/AFP) - Seit rund einer Woche fliegt Russland Luftangriffe in Syrien. Während das Verteidigungsministerium regelmäßig Zahlen zu d...
Moskau (APA/AFP) - Seit rund einer Woche fliegt Russland Luftangriffe in Syrien. Während das Verteidigungsministerium regelmäßig Zahlen zu den Attacken bekannt gibt, liegen die eigentlichen Ziele der russischen Intervention weiter im Nebel. Angekündigt als Luftkampagne gegen die Jihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) mehren sich im Westen die Zweifel an der offiziellen Kreml-Version.
112 Ziele seien in Syrien bisher attackiert worden, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Donnerstag im Fernsehen. Die Intensität der Angriffe „nimmt zu“. Dem IS, der vor allem große Teile des Landesostens und die dortigen Wüstengegenden kontrolliert, dürften Moskaus Ankündigungen keine Sorgen bereiten. Denn nur eine verschwindend geringe Zahl der Bombardements war gegen die IS-Jihadisten gerichtet. Laut Ankara waren es tatsächlich nur ganze zwei von bis dato 57.
Die wenigen Luftangriffe auf den IS dienten lediglich dazu, die russische Intervention zu „rechtfertigen“, sagt Michel Goya, Militärhistoriker an der Sciences Po in Paris. Der IS habe keine Priorität für Moskau. „Für die Russen hat es Vorrang, ein ‚nützliches Syrien‘ zu bewahren.“ Goya zählt dazu den dicht bevölkerten Westen und die Küste des Landes, wo sich Industrie und Agrarwirtschaft konzentrieren.
Außerdem ist diese Region das Stammgebiet der Alawiten. „Das strategische Ziel ist es, eine alawitische ‚Sicherheitszone‘ zu sichern“, schreibt Igor Sutyagin vom Royal United Services Institute. Die Familie von Machthaber Bashar al-Assad und ein Großteil der Elite des Landes sind Alawiten. Diese machen nur zwölf Prozent der Bevölkerung aus, beherrschen das Land jedoch seit Jahrzehnten. Sollten Extremisten oder Oppositionstruppen den Westen Syriens einnehmen, wäre es um sie geschehen.
„Die Kontrolle des ganzen Landes ist politisch unmöglich“ geworden „und vielleicht wird sie von Damaskus nicht einmal mehr als notwendig angesehen“, vermutet Sutyagin. Moskau dagegen ist Assad seit Sowjetzeiten in alter Treue verbunden und hat ein starkes strategisches Interesse, Syrien an seiner Seite zu halten - schon wegen seines einzigen Mittelmeerstützpunktes. Damit sind vor allem die Assad-Gegner der syrischen Opposition die natürlichen Gegner Moskaus.
Assad profitiert davon. Am Mittwoch starteten regierungstreue Milizen in der syrischen Provinz Hama eine Bodenoffensive, wie aus syrischen Militärkreisen verlautete. Kurz darauf erklärte Präsident Wladimir Putin, Russland werde sein Vorgehen in Syrien „mit den Einsätzen der syrischen Armee am Boden“ koordinieren. In der Provinz Hama ist nicht der IS, sondern eine Allianz der selbst ernannten Eroberungsstreitkräfte, allen voran die extremistische Al-Nusra-Front, aktiv.
Außerdem habe das russische Engagement „de facto eine Flugverbotszone“ am Himmel über Syrien geschaffen - zugunsten Assads, wie Goya ausführt. „Man kann keinen Luftangriff gegen Assad und seine Flugzeuge erlauben, wenn es nur das kleinste Risiko gibt, die Russen zu treffen.“ Alle früheren Bestrebungen, eine Flugverbotszone gegen Assad zu verhängen, seien damit „tot“, sagt Goya.
Hinzu kommen die von Ankara und der NATO scharf kritisierten Verletzungen des türkischen Luftraums durch russische Kampfjets. Doch zumindest, was diese Vorfälle angeht, glauben Experten nicht an eine Kreml-Strategie. „Ich wäre überrascht, wenn der Vorfall mit der Türkei beabsichtigt war“, sagt Douglas Barrie vom renommierten International Institute for Strategic Studies (IISS) in London. Es liege im Interesse aller, dass nichts Unkontrollierbares passiere, „insbesondere angesichts der abgekühlten Beziehungen zwischen dem Westen, der NATO und Moskau“.
Das Pentagon und das russische Verteidigungsministerium wollen sich künftig abstimmen, um mögliche gefährliche Aufeinandertreffen ihrer Kampfjets zu verhindern. Experten mutmaßten aber bereits, dass Moskau die NATO und ihre Verbündeten an Lufteinsätzen über Syrien hindern wolle.