VW-Dieselskandal - Konkurrenten ziehen wegen Abgas-Skandals davon

Hamburg/Wolfsburg (APA/Reuters) - Die Abgas-Krise zwingt Volkswagen aus hohem Tempo zu einer Vollbremsung. Der jahrelang auf Wachstum gepolt...

Hamburg/Wolfsburg (APA/Reuters) - Die Abgas-Krise zwingt Volkswagen aus hohem Tempo zu einer Vollbremsung. Der jahrelang auf Wachstum gepolte Konzern wird im Rennen mit Toyota und der Opel-Mutter GM um die Weltmarktführung zurückgeworfen. Manch ein Experte glaubt sogar, um bis zu zehn Jahre.

Allein die technische Beseitigung der Manipulation von Diesel-Emissionswerten dürfte Volkswagen bis Ende nächsten Jahres beschäftigen, schätzt der neue Vorstandschef Matthias Müller. Noch ist völlig unklar, wie die Kundschaft darauf reagieren wird. „Die Konkurrenz sitzt bereits in den Startlöchern, um VW Kunden abzujagen“, sagt Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer.

Hinzu kommen hohe Strafzahlungen und Schadensersatzansprüche, mit denen der Wolfsburger Konzern wegen der Manipulation rechnen muss. Um die Milliarden aufzubringen, hat Müller bereits schmerzhafte Einschnitte angekündigt. Alle Investitionen werden noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Das bereits beschlossene Sparprogramm von konzernweit rund zehn Milliarden Euro dürfte deutlich aufgestockt werden. Dem Zwölf-Marken-Konzern stünde dann weniger Geld für Neuentwicklungen und die Expansion zur Verfügung.

„Das Produktportfolio wird wahrscheinlich zusammengestrichen“, vermutet Dudenhöffer, der das CAR-Center an der Universität Duisburg-Essen leitet. Das treffe nicht nur die Marke VW, sondern auch die Oberklassetochter Audi und zum Teil den Sportwagenhersteller Porsche. „Wenn die Budgets gekürzt werden, haben die Autos, die morgen und übermorgen auf die Straßen kommen, weniger Innovationen als die der Wettbewerber“, sagt Dudenhöffer.

Müller hat vor der VW-Belegschaft betont, dass sich Volkswagen nicht die Zukunft verbauen will. Experten gehen daher davon aus, dass der Konzern vor allem seine Expansionspläne stutzen wird. Die Wolfsburger haben sich in ihrem Fünf-Jahres-Plan bis 2019 im Kerngeschäft Ausgaben von 86 Milliarden Euro für neue Modelle, innovative Technologien und den Ausbau der globalen Präsenz vorgenommen. Rund zwei Drittel davon sollen in Spritspartechnologien und eine umweltschonendere Produktion fließen. Hinzu kommen 22 Milliarden Euro, die für neue Werke und Modelle in China geplant sind. Vor allem dort könnte VW nach Meinung von Konzernkennern kürzen, sollte die Pkw-Nachfrage im Reich der Mitte weiter schwächeln. Niemand weiß bisher jedoch, wo Müller das Messer ansetzen wird: „Mal sehen, was am Ende von dem 100-Milliarden-Programm übrig bleibt“, unkt Dudenhöffer.

Die Folgen sind kaum absehbar: „Wenn es darum geht, einen zweistelligen Milliardenbetrag für die Kosten des Abgas-Skandals aufzutreiben und man dabei auch Zukunftsprojekte nach hinten schiebt, hat das enorme Auswirkungen für das Unternehmen“, schätzt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Er rechnet damit, dass Volkswagen auf absehbare Zeit stagnieren wird - „wenn alles gut läuft“.

Wahrscheinlich sei, dass der Absatz wegen des erlittenen Vertrauensverlusts deutlich schrumpft. „Es könnte daher gut sein, dass GM am Ende des Jahres wieder an VW vorbeizieht.“ Der Abstand in der Spitze ist hauchdünn, zuletzt lagen zwischen den Erzrivalen VW und Toyota nur wenige Zehntausend Fahrzeuge. Im ersten Halbjahr gelang es VW zwar, die Japaner von der Weltmarktspitze zu verdrängen. Das lag aber nur daran, dass die etwas stärker schrumpften als die Niedersachsen. Zu GM auf Platz drei war der Abstand etwas größer.

„VW muss sich in den nächsten Jahren neu erfinden“, fordert Bratzel. Dabei spielt Wachstum per se keine große Rolle. Es geht um eine neue Kultur und eine neue Struktur. Wenn der neue Chef seinen Plan zum Umbau des Konzern umsetzt und bei Volkswagen nicht mehr alles zentral in Wolfsburg entschieden werde, bestehe die realistische Chance, dass der Konzern in ein paar Jahren wieder im Spitzenduell mitmische. Zur Erinnerung: Auch Toyota verlor nach mehreren Rückrufen vor einigen Jahren vorübergehend die Weltmarkführung und musste sich anschließend mühsam zurückkämpfen. Die Opel-Mutter GM kommt nach ihrer Pleite und der anschließenden Rettung durch den Staat vor sechs Jahren ebenfalls wieder zurück. Experte Bratzel: „Wenn VW diesen Skandal zur Neuorganisation nutzt, ist man hinterher vielleicht sogar stärker als vorher.“

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