Literaturnobelpreis - Osteuropa-Experte Pollack: „Unglaublich mutig“

Berlin (APA/dpa) - Der österreichische Autor und Osteuropaexperte Martin Pollack sieht die Vergabe des Literaturnobelpreises an die Weißruss...

Berlin (APA/dpa) - Der österreichische Autor und Osteuropaexperte Martin Pollack sieht die Vergabe des Literaturnobelpreises an die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch (67) als ein politisches Signal. „Wenn man sich allein anschaut, was Alexijewitsch im vergangenen Jahr über Russland geschrieben hat, dann muss man die Entscheidung ganz klar als politisches Statement lesen“, sagte Pollack.

Der 71-Jährige hat in den vergangenen drei Jahren den Themenschwerpunkt „tranzyt“ bei der Leipziger Buchmesse kuratiert, in dem die Literatur aus Polen, Weißrussland und der Ukraine vorgestellt wurde. Mit der neuen Literaturnobelpreisträgerin ist er befreundet. In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erklärt er die Lage in ihrem Heimatland.

Frage: Wie sieht die Literaturszene in Weißrussland aus?

Antwort: Belarus ist für die meisten Menschen im Westen nach wie vor terra incognita. Bei uns sind kaum Autoren von dort bekannt, Swetlana Alexijewitsch ist da die rühmliche Ausnahme. Aber weil sie auf Russisch schreibt, wird sie oft für eine russische Schriftstellerin gehalten. Dabei ist sie bewusste Weißrussin, das Land ist eben nur - vergleichbar etwa mit der Schweiz - zweisprachig.

Frage: Was bedeutet es für Schriftsteller, in Weißrussland zu arbeiten?

Antwort: Für Autoren sind die Bedingungen dort so schwierig wie kaum irgendwo sonst. Es gibt keine ordentliche Verlagslandschaft, das Regime hat die Literatur völlig unter Kontrolle. Allerdings ist es heute meist nicht mehr so, dass der Zensor mit dem Rotstift kommt, die Verlage werden eher wirtschaftlich kaputtgemacht. Da gibt es tausend Wege - irgendwelche Sondersteuern oder angeblich fehlende Genehmigungen oder sonst irgendein administrativer Vorwand, der die Arbeit unmöglich macht.

Frage: Ist Alexijewitsch davon auch betroffen?

Antwort: Für Swetlana Alexijewitsch gilt zusätzlich, dass sie in Russland fast noch mehr Probleme hat als in Weißrussland, weil sie eben sehr prononciert Position gegen Präsident Putin bezieht. Wir hatten sie im vergangenen Jahr zu einer Diskussion im Wiener Burgtheater - ich habe noch selten so mutige, offene Worte von einem Intellektuellen aus diesem Raum gehört. Sie ist eine unglaublich mutige und kluge Autorin.

ZUR PERSON: Martin Pollack, 1944 in Bad Hall in Oberösterreich geboren, studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte. Er arbeitet als Übersetzer und Autor, unter anderem erschienen von ihm die Titel „Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann“ und „Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien“. 2011 wurde er mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet.

(Das Gespräch führte Nada Weigelt, dpa)