Deutscher Buchpreis - Frank Witzel und sein absurder Geschichtsroman
Frankfurt am Main (APA/dpa) - Für den Grazer Autor Clemens J. Setz ist er klarer Buchpreis-Favorit: Frank Witzel und sein Roman „Die Erfindu...
Frankfurt am Main (APA/dpa) - Für den Grazer Autor Clemens J. Setz ist er klarer Buchpreis-Favorit: Frank Witzel und sein Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“. „Der kriegt das sicher!“, so Setz gegenüber der APA.
„Da stimmt einfach alles“, argumentierte Setz. „Das Buch ist ungewöhnlich, der Autor ist bisher noch nicht so bekannt, sodass der Preis auch einen Effekt hätte, mit Matthes & Seitz wäre es auch ein guter Verlag, der noch nie den Buchpreis bekommen hat, und es trägt ein Stück deutscher Geschichte in sich - das hatten, glaube ich, bisher noch alle.“ Schon 2012 erhielt der 1955 in Wiesbaden geborene und heute in Offenbach am Main lebende Musiker, Essayist und Moderator, Romancier und Illustrator für sein Romanprojekt den Robert-Gernhardt-Preis.
Seinen ersten Gedichtband veröffentlichte Witzel, der nach der Schule eine musikalische Ausbildung am Wiesbadener Konservatorium machte, mit 22. 2001 erschien sein Roman „Bluemoon Baby“, zwei Jahre später „Revolution und Heimarbeit“. Die Geschichte der Bundesrepublik dient Witzel in seinen Büchern als Spielwiese für oft groteske Einfälle und literarische Verschwörungstheorien. 2005 und 2009 legte er zusammen mit zwei Co-Autoren Gesprächsbücher über Popkultur und die deutsche Geschichte vor.
In „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ versucht sein Held als Bub und als Mann die Welt zu verstehen und scheitert grandios - oder auch nicht. Eine knappe Inhaltsübersicht des außergewöhnlichen Buches ist nahezu unmöglich. Denn die 800 Seiten enthalten weder eine logische noch chronologische Abfolge von Ereignissen, ja eigentlich überhaupt keinen sinnvollen Aufbau - denkt man lange. Auf den noch relativ geraden Pfaden folgt man zunächst dem 13-Jährigen durch Schule, Elternhaus und Kirche. Man sieht zu, wie er mit Freunden Unsinn verzapft, durch die freie Zeit strolcht, die Beatles hört und im Fernsehen die im Umgang mit der ersten Terroristengeneration hilflose Politik verfolgt. Und dabei denkt, dass vielleicht seine Clique gemeint sein könnte. Wenn sie das nicht sogar ist. Hinzu kommen herrlich absurde Vorstellungen von der „Ostzone“ sowie die sexuellen Fantasien eines Pubertierenden, die im krassen Kontrast zu seiner streng katholischen Erziehung stehen.
Diese Pfade führen nie zu Ende. Es gibt ständig Brüche und wechselnden Zeitebenen, die bis in die Gegenwart reichen. Frank Witzel flicht Protokolle eines imaginären Verhörs zum Thema RAF ein. Oder Traumsequenzen. Oder Briefe und Fragebögen. Es sind 800 Seiten voller Überraschungen, voller Witz, Ironie und Tragik. Und 98 Kapitel, deren letztes vielsagend mit „Der Befrager rät von einem Neuanfang ab“ überschrieben ist. Witzels Buch ist ein Sammelsurium der Absurditäten, der literarischen Unmöglichkeiten und religiösen Anleihen, der intelligenten Mehrdeutigkeiten und der philosophischen Exkurse. Und es ist eine auch schmerzhafte Reise in die west- und ostdeutsche Vergangenheit - mit RAF-Terror hier und Staatsterror dort.
(S E R V I C E - Frank Witzel: „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“, Matthes & Seitz Verlag, 818 S., 30,60 Euro)