Aus der Rolle gefallen: Gewalt unter Mädchen
Mädchen werden gewalttätiger. So ist die allgemeine Wahrnehmung immer nach Bekanntwerden eines massiven Vorfalls. Ein Faktencheck.
Von Michaela Spirk-Paulmichl
Innsbruck — Abends um 21.45 Uhr, mitten in Innsbruck. Eine Gruppe junger Mädchen umzingelt einen Mann, raubt ihm die Geldtasche. Als er diese wenig später auf der Straße findet, fehlen einige hundert Euro. „Werden Mädchen immer gewalttätiger?“, lautet häufig die Frage nach Vorfällen wie diesen. Tatsache ist, dass die Zahl der verurteilten Frauen in den vergangenen zehn Jahren nicht zunahm, sondern sogar zurückging. 2004 wurden laut Sicherheitsbericht 6466 Frauen von einem österreichischen Gericht verurteilt, 2014 waren es 4947. Im Vergleich zu 2013 sank die Zahl der verurteilten Frauen um drei Prozent. Bei den Jugendlichen gab es Rückgänge von 1,4 Prozent, bei den jungen Erwachsenen um 11 Prozent — bei ihnen wird nicht nach Geschlechtern differenziert. Die Statistik zeigt, dass Straffälligkeit überwiegend männlich ist. Frauen verüben nur 15 Prozent der Straftaten, bei Delikten gegen Leib und Leben sind es weniger als zehn Prozent.
Die These, dass die Gewaltbereitschaft bei Mädchen gestiegen sei, lasse sich also aus dem vorliegenden Sicherheitsbericht des Justizministeriums nicht ableiten, sagt Kristin Henning, Leiterin von Neustart Tirol. Trotzdem meint sie: „Auch unsere Wahrnehmung ist, dass es bei Mädchen vereinzelt zu massiver Gewalt kommt.“ Da es sich dabei um atypische Bilder handle, sei die Wahrnehmung besonders ausgeprägt — vor allem die mediale. Im Vergleich zu männlicher Gewalt handle es sich aber nur um vereinzelte Fälle. Henning: „Nur zwei Prozent unserer Klienten sind Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren. Rund zehn Prozent — etwa 60 von 600 — der Klienten in der Bewährungshilfe sind Jugendliche. Sie wurden wegen Vermögensdelikten wie Diebstahl verurteilt, aber auch wegen Suchtmittel- oder eben Gewaltdelikten wie Körperverletzung und Raub.“ Der Verein Neustart bietet Resozialisierungshilfe für Straffällige an, unterstützt die Opfer und widmet sich der Prävention.
Die Gründe, weshalb Mädchen straffällig werden, seien nicht anders als bei Burschen. Dazu gehörten schwierige soziale und familiäre Verhältnisse, Schulabbruch und damit Perspektivlosigkeit. Einige wurden selbst Opfer von Gewalt, auch in der Familie. Henning: „Für manche ist Gewalt eine selbstverständliche Form der Konfliktlösung. Sie kann aber auch Ausdruck des Ausbruchs aus familiären Rollenerwartungen sein.“ Aufgabe von Neustart sei es, Jugendliche dabei zu unterstützen, Verantwortung zu übernehmen und Perspektiven zu entwickeln. Im Vergleich zu erwachsenen Straftätern sei die Rückfallhäufigkeit bei ihnen höher — „sie testen ihre Grenzen aus“.
Internationaler Mädchentag
Wien — Mädchen als Opfer von Gewalt: Statistisch gesehen stirbt alle zehn Minuten irgendwo auf der Welt ein Mädchen. Darauf wies die Stiftung Weltbevölkerung anlässlich des Internationalen Mädchentages heute, 11. Oktober, hin. Viele Täter stammen aus dem Umfeld des Opfers. „Schätzungsweise 120 Millionen Mädchen weltweit haben sexuelle Gewalt erfahren“, erklärte Geschäftsführerin Renate Bähr.
Anlässlich des Tages des Mädchens erscheint eine neue Broschüre des JUFF
Fachbereiche Jugend sowie Frauen und Gleichstellung des Landes Tirol. Das Heft „Sicherheitstipps für Frauen und Mädchen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“ liegt bei der Abteilung JUFF auf. Info: 0512-508 3586.
Download: www.mei-infoeck.at/leben/gewalt. (TT)