Fremdheit und Entfremdung: „Territorien“ von Susanne Gregor
Wien (APA) - Am Sex liegt es nicht. Wann immer Emma und ihr nicaraguanischer Mann Samuel einander in den Armen halten, ist der Einklang ihre...
Wien (APA) - Am Sex liegt es nicht. Wann immer Emma und ihr nicaraguanischer Mann Samuel einander in den Armen halten, ist der Einklang ihrer Körper rasch auf das Natürlichste hergestellt. Aber da gibt es noch so vieles andere. Vor allem die Fremdheit, die ein Partner im Heimatland des jeweils anderen nie ganz loswird, und zur Entfremdung führt. Davon erzählt der Roman „Territorien“ von Susanne Gregor.
Gregor verfügt selbst über Fremdheits-Erfahrungen: 1981 als Zuzana Gregorova in Zilina (Slowakei) geboren, zog sie mit ihren Eltern 1990 nach Oberösterreich. Nach einem Studium in Salzburg und einer Lehrtätigkeit an der University of New Orleans lebt sie seit 2005 in Wien, 2010 wurde sie mit dem Exil-Literaturpreis „Schreiben zwischen den Kulturen“ ausgezeichnet. Mit ihrem Debütroman „Kein eigener Ort“ war sie 2012 Finalistin beim Literaturpreis Alpha. Schon dieses Buch thematisierte eine Beziehung unter schwierigen Umständen in einer der Frau fremden Stadt. Damals war es Budapest, diesmal ist es Managua.
Ihr gemeinsames Leben haben die österreichische Kommunikationswissenschafterin Emma und der in Nicaragua geborene Sam in Wien begonnen. Am Institut, wo er einen Aushilfsjob übernommen hat, haben sie einander kennengelernt, als seine Aufenthaltsgenehmigung ausgelaufen wäre, haben sie geheiratet - nicht, um zusammenleben zu können, sondern, um nicht auseinandergehen zu müssen, wie es einmal heißt. Ein ruhiges, bescheidenes Leben mit Aussicht auf Dreisamkeit: Emma ist im fünften Monat schwanger, als eines Nachts ein Telefonanruf alles ändert. Samuels Vater ist gestorben, Hals über Kopf brechen beide nach Nicaragua auf.
In Managua wird alles anders. Samuel verändert sich, er nimmt die überraschende Herausforderung einer geerbten Möbelfabrik an. Bald ist der Wunsch von ihm und seiner Familie klar: Das Paar möge in Nicaragua bleiben, zumindest vorläufig, zumindest bis zur Geburt des Kindes. Und es wird deutlich, dass sich Samuel in Wien nie wohlgefühlt hatte, dass er nun im Gegenzug erwartet, dass sich Emma auf die neue Situation einlässt.
Das geht nicht gut. Doch Susanne Gregor schlägt sich nicht auf die Seite ihrer Ich-Erzählerin. Es gibt zwar objektive Kriterien, die ihr das Leben schwer machen, wie der Zwang, mit der Schwiegerfamilie auf engem Raum zusammenzuleben und dem ungewohnten tropischen Klima ausgesetzt zu sein, doch Emma macht es ihrer Umgebung auch nicht leicht: Wankelmütig, launisch und verschlossen, kultiviert sie ihr Selbstmitleid und ihre Unzufriedenheit statt Eigeninitiative zu entwickeln. So bleibt, nicht ganz unrealistisch, die Frage offen, ob Emmas Persönlichkeit, der tosende Hormoncocktail der Schwangeren oder die interkulturelle Fremdheit die Hauptschuld an der Entfremdung tragen.
Emma fliegt kurz entschlossen zurück nach Wien. Dort jedoch hat niemand auf sie gewartet. Ihre Wohnung ist weg, der Uni-Job ebenso. Die nunmehr Hochschwangere zieht wieder bei ihren Eltern ein. Rechtzeitig vor der Geburt kommt ihr der Ehemann nachgeflogen. Wie es weiter geht, ist ungewiss. Eines hat Susanne Gregor am Ende von „Territorien“ jedoch wohl erreicht: Tauschen möchte man als Leser mit keinem der beiden. Auch ohne große Dramen kann das Leben manchmal verdammt hart sein.
(S E R V I C E - Susanne Gregor: „Territorien“, Droschl, 208 S., 19 Euro, Lesung am 21. Oktober, 19 Uhr, im Literaturhaus Wien; www.susannegregor.at)