Bühne

Ein Luftikus sucht Lust und Liebe

© TLT/Larl

Im Großen Haus tanzt „Peer Gynt“ nach Enrique Gasa Valgas Pfeife: ein bildgewaltiger und fantastischer Trip durch ein tolles Troll-Reich.

Von Christiane Fasching

Innsbruck –Als Henrik Ibsen 1867 sein dramatisches Gedicht „Peer Gynt“ zu Papier brachte, hielt er es für unaufführbar. Doch glücklicherweise revidierte er seine Meinung – und so schaffte es die Mär’ dieses lasterhaften Luftikus, dieses liebestollen Lügenbarons, den es rund um den Globus und sogar ins Reich der Trolle zieht, neun Jahre später doch auf die Bühne. Wie der Titelheld selbst eroberte der märchenhafte Stoff in der Folge die Welt. Seit Samstag geht’s nun auch im Großen Haus fantastisch zu: „Peer Gynt“ tanzt nach der Pfeife von Enrique Gasa Valga, der aus dem Ibsen-Stoff ein multimediales Gesamtkunstwerk gezimmert hat, das vom Premierenpublikum frenetisch bejubelt wurde.

Zu Recht: Gasa Valgas „Peer Gynt“ ist frisch und frech, mitreißend und bildgewaltig, rasant und romantisch. Das verdichtete Libretto hat der Tanzcompany-Chef in gewohnter Manier zusammen mit Katajun Peer Diamond verfasst, die packenden 3D-Visuals stammen vom Videoexperten Albert Serradó und der Wiener Medienwerkstatt Atzgerei Productions, die Helfried Lauckners cleanes Bühnenbild als Projektionsfläche für ihre magischen Bilderwelten nutzen. Vernetzt gearbeitet wird auch auf der musikalischen Ebene: Neben Edvard Griegs legendären Peer-Gynt-Suiten bringt Sound-Designer Peter Kollreider da auch Songs von Johnny Cash, Chris Isaak oder Gnarls Barkley ins Spiel – die Idee, dessen Song „Crazy“ live darzubieten, sollte man allerdings nochmal überdenken. Léo Maindron (Professor Begriffenheit) ist zwar ein fabelhafter Tänzer, aber nur ein mittelmäßiger Sänger.

Einen gelungenen Einstand gibt Samuel Francis Pereira in der Titelrolle: Der Australier ist einer von fünf Neuzugängen der international besetzten Tanzcompany und verleiht Peer Gynt vor allem im zweiten Akt ein vielschichtiges Profil, das ans Herz geht. Vor der Pause wird man mit Pereira noch nicht ganz warm, wird man das Gefühl nicht los, Marlon Brando hätte sich in die „West Side Story“ verirrt. Doch wenn Peer Gynt am Ende des ersten Akts seine geliebte Mutter Aase verliert, dann ist der Macho weg und endlich der Mensch da. Marie Stockhausen spielt diese Mutterrolle mit so viel Ausdruck, Liebe und unverkitschter Emotion, dass einem der Atem stockt. Aus dem ohnedies starken Ensemble sticht sie noch einmal heraus.

Zauberhaft sind Lara Brandi als Peers Lebensliebe Solveig und Lore Pryszo als gestohlene Braut Ingrid. Anna Romanova – ebenfalls ein Neuzugang – verdreht nicht nur Peer Gynt als mystische Grüngekleidete den Kopf. Einen Sonderapplaus hat sich Samuel Maxted verdient, der – in ein bodenlanges, weißes Gewand gehüllt – als Knopfgießer wohliges Unbehagen verbreitet und in seinen besten Momenten an eine Gottesanbeterin gemahnt, die staksend auf Opfersuche geht. Apropos Gesamtkunstwerk: Während die Kostüme der männlichen Tänzer von Andrea Kuprian stammen, legte bei den Frauen die deutsche Modedesignerin Dorothee Schumacher Hand an – auf der Tanztheater-Bühne herrscht dieses Mal also auch ein wenig Laufsteg-Flair.

Den hätte Enrique Gasa Valgas „Peer Gynt“ aber gar nicht gebraucht, seine Version des nordischen Märchens ist auch so à la mode. Und ein zauberhafter Einstand für die Tanztheater-Saison.