Tödliche „Beratungssitzung“: Prügelopfer sagte vor Gericht aus
Stundenlang wurden zwei Brüder von Sektenmitgliedern – unter ihnen ihre Eltern – im US-Bundesstaat New York brutal geschlagen. Ein 19-Jähriger starb, der jüngere Bruder überlebte. Am Mittwoch sagte er bei einer Anhörung vor Gericht gegen seine Halbschwester aus.
New Hartford – Eine Kirche im US-Bundesstaat New York wurde vor rund zwei Wochen Schauplatz eines brutalen Verbrechens: Mitglieder der „World of Life Church“, einer öffentlichkeitsscheuen Sekte, prügelten mehr als zwölf Stunden auf ein Brüderpaar ein. Unter den Angreifern waren nicht nur die Eltern der beiden Jugendlichen, auch die Halbgeschwister schlugen mit Fäusten und Kabel auf sie ein. Lucas (19) erlag seinen Verletzungen. Christopher überlebte schwer verletzt. Ihre Eltern wurden wegen Todschlags angeklagt, auch zwei Halbgeschwister und zwei weitere Kirchenmitglieder müssen sich vor Gericht verantworten. Bei einer Anhörung gegen seine Halbschwester schilderte der 17-Jährige am Mittwoch das Martyrium.
Die „Word of Life Church“ ist eine der vielen christlichen Freikirchen, die es in den USA gibt. Sie wurde 1981 von Jerry Irwin gegründet und seit seinem Tod 2012 von seiner Frau Traci und ihren Kindern geführt. So fungiert Tochter Tiffanie mittlerweile als Priesterin. Die Familie lebt in dem zur Kirche umfunktionierten ehemaligen Schulgebäude in New Hartford.
Vor Eltern und Kirchenälteste zitiert
Es war am 11. Oktober: Nach der Sonntagsmesse, die den ganzen Tag gedauert hatte, forderte Tiffanie die beiden Burschen auf, noch in der Kirche zu bleiben. Wie Christopher mit leiser Stimme vor Gericht aussagte, mussten sie vor ihren eigenen Eltern und Halbgeschwistern sowie den Sektenanführern stehen und Fragen beantworten. „Wir sollten sagen, was wir getan haben“, sagte der 17-Jährige, der erst am Wochenende aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Nachfragen, worum es bei der Befragung gegangen sei, wurden dem jungen Mann am Mittwoch erspart.
Einer der Irwin-Söhne hatte zuvor erklärt, es habe den Vorwurf der Hexerei gegeben. Lucas habe den Tod der Kirchenältesten gewollt und überlegt, eine Voodoo-Puppe herzustellen. Außerdem sollen die Brüder sich an Kindern vergangen haben - beides Vorwürfe, die nach Angaben der Polizei und Staatsanwaltschaft völlig unhaltbar seien.
Faustschläge, Fußtritte, Schläge mit einem Kabel
Lucas und er hätten einige der Fragen widerstrebend beantwortet, erklärte Christopher. Bei manchen hätten sie sich geweigert. Und dann begannen die Schläge: „Joe Irwin (ein weiterer Sohn des Sektengründers, Anm.) kam herüber, packte mich an meinem Sweatshirt, zählte bis drei und schlug mich in den Magen“, berichtete der 17-Jährige laut eines Berichts der New York Times.
Mit Schlägen und Tritten wurden er und sein Bruder von allen traktiert. Auch mit einem Kabel schlugen sie zu. Wo ihn seine Halbschwester, die nur wenige Meter entfernt von ihm im Gerichtssaal saß, geschlagen hätte? „Überall, außer auf den Kopf.“ Manchmal sei er auch von zwei Männern festgehalten worden.
„Ich wusste, dass etwas nicht stimmt“
Schließlich trennten die Kirchenmitglieder die beiden Brüder. Christopher wurde in die ehemalige Schulsporthalle gebracht. Er musste sich in eine Ecke setzten, Kopfhörer und Ohrenschützer schirmten die Geräusche der „Befragung“ seines Bruder ab. Erst viel später sah er ihn wieder. „Ich bin ziemlich sicher, dass Luke zusammengebrochen ist. Er lag am Boden und stöhnte. Ich wusste, dass etwas nicht stimmt“, sagte er. Der 17-Jährige berichtete weiter, wie er sah, dass Lucas nicht mehr atmete, versuchte, ihn wiederzubeleben. Auch sein Vater und Traci Irwin, die herbeigerufen worden war, führten Reanimationsversuche durch. Schließlich hätten sie den leblosen Körper am Montag in einen Wagen gelegt und in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurde der 19-Jährige wenig später für tot erklärt.
Christopher selbst war bei der Fahrt zum Spital dabei, ging aber nicht hinein. Nach einem Umweg sei er wieder zurück in das Kirchengebäude gebracht worden, wo ihm einer der Irwin-Brüder ein Matratzenlager richtete und ihn mit Essen und Wasser versorgte. Am Abend habe er mit der Polizei telefoniert und die Kirche verlassen. Im Bauch, am Rücken, im Unterleib und an den Oberschenkeln: Die Polizei berichtete, die Brüder hätten schwerste Verletzungen und Brüche erlitten. „Es tat weh, auch noch die ganze Zeit im Krankenhaus und danach“, sagte Christopher vor Gericht. ( smo )