Tirol

Kritik am Konsumwahn: Essen gehört nicht in den Müll

Symbolbild.
© APA/dpa-Zentralbild

Jeden Tag werden in Tirol Lebensmittel, die noch völlig in Ordnung sind, in den Müll geworfen. Bewegungen wie „Dumpster Diving“ oder „Foodsharing“ prangern diese Essensverschwendung an und präsentieren ihre eigenen Lösungen.

Von Renate Perktold

Innsbruck – Drei Studenten bedienen sich in Rum und Hall an Mülleimern, in denen sich originalverpackte Lebensmittel und Getränke befinden. Wenig später werden sie nach einem Zeugenhinweis von der Polizei angehalten und gleich auf freiem Fuß angezeigt: Was sie gemacht haben, ist eine Straftat. Denn die Lebensmittel stammen von Supermärkten und das Mitnehmen aus Containern ist in Österreich in den meisten Fällen nicht erlaubt.

„Bei dem vorliegenden Fall handelt es sich um einen Einbruchdiebstahl. Es ist ja ein Besitzverhältnis gegeben, denn die Müllcontainer sind Eigentum der Warenhandelskette“, erklärt Marlies Zoglauer von der Landespolizeidirektion Tirol. Der Strafrahmen für Einbruchsdiebstahl beträgt zwischen sechs Monaten und fünf Jahren.

Nach Lebensmittel-Müll „tauchen“

Trotz der angedrohten Strafen gibt es eine Bewegung, die genau solche entsorgten Lebensmittel „retten“ will. So genannte „Dumpsterer“, wie es auch die Innsbrucker Studenten waren, wollen mit ihren nächtlichen Aktionen nicht nur Geld sparen. Vordergründig geht es beim „Dumpster Diving“ oder „Containern“, wie das Ausräumen von Supermarkt-Containern oder generell Mülltonnen mit Lebensmitteln genannt wird, um eine Kritik am Konsumwahn, am Kapitalismus und vor allem an massiver Ressourcenverschwendung.

Immer mehr Menschen schließen sich der Bewegung an und durchstreifen nachts die Städte auf der Suche nach Essbarem. Auch in Tirol, wie Zoglauer bestätigt: „Wir bekommen immer wieder Hinweise.“

„Sinnlose Verschwendung“

Die großen Handelsketten haben längst auf die Kritik reagiert. Bei Spar Österreich werden laut Firmenangaben nur rund ein Prozent des Warensortiments nicht verkauft. Sind Produkte trotz aller Maßnahmen nicht mehr verkäuflich, werden sie vom Unternehmen an Sozialmärkte weitergegeben. Trotz dieser Maßnahmen bleiben aber zum Beispiel täglich rund sieben Kilo Altbrot in den Regalen liegen. Bis zur Abholung durch die Sozialmarktmitarbeiter, die die Geschäfte nur ein bis zwei Mal in der Woche anfahren können, würde es oft verderben. In einem Pilotprojekt werden deshalb alte Brote an den österreichischen Tierfuttermittel-Hersteller Fixkraft weitergegeben, der daraus hochwertiges Tierfutter herstellt.

Auch bei der Tiroler Handelskette MPreis bemüht man sich, so wenig wie möglich Lebensmittelmüll herzustellen. „Waren, die kurz vor Ablauf des Mindeshaltbarkeitsdatums stehen, werden zu einem sehr günstigen Preis abgegeben“, erklärt MPreis-Sprecherin Ingrid Heinz. Der so genannte „Last Minute Preis“ soll den Verkauf noch einmal ankurbeln, um weniger Müll zu produzieren. Wie Spar arbeitet auch MPreis seit vielen Jahren mit den Tiroler Sozialmärkten zusammen. „Nicht verkaufte Lebensmittel werden bei uns zurück in die Zentrale gebracht, dort entpackt und einer Biogasanlage zugeführt. Die Verpackung wird dann entsprechend entsorgt“, fügt Heinz‘ Kollegin Gudrun Pechtl hinzu. Es gebe auch Lebensmittel, die für die Tierfütterung zur Verfügung gestellt werden.

Kulanz gegenüber Lebensmittel-„Tauchern“

Dumpstern sehen nicht alle Handels-Riesen gerne. Offiziell wird argumentiert, dass man mit dem Versperren der Müllräume die „Diver“ schützen wolle, schließlich können sich auch Scherben oder Reinigungsmittel auf oder im Essen befinden, was auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist. Deshalb sei das Versperren der Mülltonnen oder -räume schon gesetzlich vorgegeben.

Bei der Firma MPreis hat man gegen die nächtlichen Müll-Fischer nichts einzuwenden: „Bei uns finden sie ohnehin meist nicht viel, weil einfach nicht viele Sachen entsorgt werden. Aber wir verhindern das sicher nicht“, erklärt Pechtl.

Ähnlich kulant gibt sich Spar: „Wir akzeptieren Mülltaucher, sofern Sie sich ordentlich verhalten“, erklärt Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann und führt weiter aus: „Man muss aber deutlich festhalten, dass im Lebensmittelhandel am wenigsten (prozentuell) weggeworfen wird. Bei den Konsumenten und in der Gastronomie viel mehr.“

Statistisch gesehen sind es tatsächlich nicht nur Supermärkte, sondern zu einem überwiegenden Teil Privathaushalte, die vermeintlich abgelaufene oder ungenießbare Lebensmittel in den Müll werfen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass weltweit rund ein Drittel der für den menschlichen Verbrauch produzierten Lebensmittel verloren gehen oder weggeworfen werden. Das entspricht etwa 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr. Vor allem in den Industrieländern landen viele intakte Lebensmittel im Müll. Demgegenüber leiden geschätzte 925 Millionen Menschen weltweit an Hunger und Unterernährung.

Bewusstsein fördern

Laut einer Studie der Abteilung Abfallwirtschaft der Universität für Bodenkultur in Wien, wurden im Jahr 2013 rund 74.100 Tonnen Lebensmittel im Einzelhandel abgeschrieben (oder gingen zu Bruch). Das entspricht einem Wert von 255 Millionen Euro. Die Lebensmittelketten gaben 6600 Tonnen an soziale Einrichtungen weiter. 35.600 Tonnen an nicht verkauftem Brot und Gebäck wurden außerdem an die Lieferanten zurückgegeben. Private Haushalte entsorgen laut Studie 157.000 Tonnen Lebensmittel, die noch genießbar wären. Das entspricht einem Warenwert von einer Milliarde Euro.

Dank dieser eklatanten Misswirtschaft ist mittlerweile eine weitere Bewegung in Tirol angekommen, die die Lebensmittelverschwendung auf völlig legalem Weg verringern will. „Foodsharing Tirol“ hat sich zur Aufgabe gesetzt, das Thema Lebensmittelverschwendung mehr ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Die Idee hinter dem so genannten Foodsharing ist es, dass Privatpersonen Lebensmittel, die sie nicht mehr benötigen, an andere weitergeben, anstatt sie wegzuwerfen. Voraussetzung ist natürlich, dass diese Lebensmittel noch genießbar sind. Seit kurzem gibt es in der Bäckerei Kempf in Wilten einen „Fairteiler“, den der Verein „Foodsharing“ dort aufgestellt hat. Dabei handelt es sich um einen Kühlschrank, der regelmäßig von den Verantwortlichen aufgefüllt wird. Hinein kommen Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können. Jeder der will, kann sich aus dem Kühlschrank bedienen, oder auch Lebensmittel hineinlegen. Das System wird offenbar gut angenommen und zeigt eines ganz deutlich: Jeder kann helfen, Müll zu vermeiden und mit den Ressourcen, die zur Verfügung stehen, sorgfältig umzugehen.

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