Tiroler Virus greift Krebszellen an
Im neuen Labor der Innsbrucker Biotech-Firma „Vira Therapeutics“ reift VSV-GP. Das Virus zerstört, als Impfung verabreicht, fortgeschrittene Tumoren und Metastasen.
Von Theresa Mair
Innsbruck –Viren haben landläufig kein gutes Image. Der Gedanke an die Grippezeit reicht. Dabei setzen Innsbrucker Forscher um die Virologin Dorothee Holm-von Laer gerade alles daran, das Bild von den krankmachenden Übeltätern aufzupolieren. Die elfköpfige Gruppe hat ein ambitioniertes Ziel: Sie will eine Art Impfung gegen fortgeschrittenen Krebs auf den Markt bringen.
In den Brutschränken des Start-up-Unternehmens „Vira Therapeutics“ wartet das Virus VSV-GP auf seinen Einsatz bei krebskranken Patienten. Die 2013 von Holm-von Laer und Ludwig Weiss (Tiroler Gründungszentrum) ins Leben gerufene Biotechnologie-Firma eröffnete am Montag ihr Labor in der Exlgasse. Als Ausgründung der Medizinischen Universität Innsbruck stehen den Forschern dank Finanzspritzen von Bund, Land und privaten Investoren – darunter der deutsche Pharma-Konzern Böhringer Ingelheim – 5,5 Millionen Euro zur Verfügung, um die Forschung an dem Virus voranzutreiben.
Was für Tiroler Ohren wie Science-Fiction klingt, ist in den USA schon Realität. Dort wurde vor zwei Wochen ein erstes so genanntes onkolytisches Virus – also ein Virus, das Krebszellen zerstört – für den Markt zugelassen. „Dieses Virus muss man direkt in den Tumor spritzen. Unser Virus sucht sich den Weg in den Tumor und greift auch Metastasen an. Es wirkt über die Blutbahn, indem man es intravenös spritzt“, erklärt Holm-von Laer den Unterschied. Doch es sei gut, dass es jetzt schon eine Zulassung für ein onkolytisches Virus gebe, sagt sie. „Wir reden also nicht mehr über ein Wolkenkuckucksheim.“
Dem Innsbrucker Virus lägen zwei in der Natur vorkommende Viren zugrunde – VSV (Vesikuläres Stomatitisvirus) und LCMV (Lymphozytäres Choriomeningitisvirus). Ersteres sei ein gängiges Laborvirus, das hauptsächlich Ein- und Paarhufer außerhalb Europas befalle und an dem die Forscherin bereits in Studienzeiten geforscht habe. „Das Problem bei VSV ist, dass es in die Nervenzellen eindringt und sehr schnell Immunreaktionen hervorruft“, erklärt sie. Deshalb habe man das Erbgut, welches das Hüllprotein von VSV codiert, gegen jenes eines zweiten Virus – LCMV – ausgetauscht.
Das Virus LCMV infiziere normalerweise Mäuse. Mit Menschen käme es in der Natur kaum in Kontakt. „Der Vorteil von LCMV ist, dass es nicht so schnell Antikörper hervorruft und daher auch wiederholt eingesetzt werden kann, und es greift die Nervenzellen nicht an.“
Das Ergebnis, VSV-GP, sei ein „sehr zerstörerisches Virus“, das sich in Krebszellen vermehrt und diese auflöst. In Tests am Mausmodell, die weiterhin in der Sektion für Virologie an der Medizin-Uni durchgeführt würden, habe sich herausgestellt, dass VSV-GP gegen alle festen Tumore eingesetzt werden könnte. Dazu gehören z. B. Lungenkrebs, Eierstockkrebs und Hautkrebs. „Das Virus ist nicht auf eine Krebsart reduziert. Es ist gegen alle soliden Tumoren wirksam, aber nicht gegen Leukämien“, erklärt Holm-von Laer. Die Nebenwirkungen seien außerdem sehr gering und mit Grippesymptomen vergleichbar.
Die nächste Herausforderung für das „Vira Therapeutics“-Team sei die Herstellung des Virus in großen Mengen und der erforderlichen Reinheit. Ein externes Labor müsse für die Sicherheitsuntersuchung von VSV-GP beauftragt werden.
Wenn sich alle Prüfungen als erfolgreich herausstellen, kann das Virus als revolutionäre Krebstherapie in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung eingesetzt werden. „Lokale, kleine Tumore werden auch in Zukunft herausoperiert werden. Das ist die sicherste Methode, wie die Zehn-Jahres-Überlebensraten von in der Regel über 90 Prozent zeigen“, sagt die Forscherin. Grundsätzlich sei es auch so, dass ein neues Medikament immer zuerst in fortgeschrittenen Tumorstadien eingesetzt würde. „Später wird man sehen, ob man die Überlebensrate mit der Kombination von Virus und Operation bei Frühstadien vielleicht sogar noch anheben könnte.“
Sie hofft, dass die Viren-Therapie bereits „in einem guten Jahr“ in Studien an der Innsbrucker Uni-Klinik an Patienten getestet werden kann. Bis die Krebstherapie alle drei Testphasen durchlaufen habe und schließlich zugelassen werde, dürften ihr zufolge aber noch mindestens fünf Jahre vergehen.