Rechtspopulisten bringen Schweiz auf Kollisionskurs mit Brüssel
Bern (APA/dpa) - Sie ist nicht in der EU, doch abschotten kann sich die Schweiz von Europa nicht. Wie in Frankreich oder den Niederlanden er...
Bern (APA/dpa) - Sie ist nicht in der EU, doch abschotten kann sich die Schweiz von Europa nicht. Wie in Frankreich oder den Niederlanden erstarken die Rechtspopulisten. In Bern sitzen sie allerdings mit in der Regierung.
Eidgenossen sind sparsam. Und sie wollen traditionell keine allzu mächtige Regierung über sich haben. Deshalb hat die Schweiz nur sieben Minister und keinen Regierungschef. Das Kabinett regiert als Kollegium. Jeden Mittwoch kommt es im Bundesratssaal zusammen. Da wird durchaus auch gestritten. Denn die Minister gehören Parteien mit unterschiedlichen Programmen an, sie sind Sozialdemokraten, Bürgerliche, Liberale und Rechtskonservative. Doch bisher konnten sich die Sieben - ehe sie dann in einer Berner „Beiz“ essen gehen - noch stets auf politische Kompromisse verständigen.
Ob das so bleibt, wird sich bald zeigen. Am Mittwoch hat die Schweizer Bundesversammlung eine neue Regierung gewählt. Ihr gehören nun zwei Minister der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) an, viele Jahre war es nur einer. Der Machtzuwachs ist Folge des SVP-Triumphs bei den Parlamentswahlen im Oktober. Mit 29,4 Prozent der Stimmen erreichte sie ihrer bisher bestes Ergebnis. Seit 1999 schon ist die wählerstärkste Partei des Landes.
Das SVP-Wahlprogramm ähnelt jenen anderer europäischer Rechtsparteien wie der Front Nationale in Frankreich oder der Partei für die Freiheit in den Niederlanden. Die SVP brüstet sich als einzige Partei der Schweiz, „die garantiert, dass die Zuwanderung begrenzt wird, die Missbräuche im Asylwesen beseitigt werden, kriminelle Ausländer ausgeschafft werden und ein Anschluss an die EU verhindert wird“.
Das sollen die beiden SVP-Minister nun im Koalitionskabinett soweit wie möglich durchsetzen. Die erste Machtprobe wird nicht lange auf sich warten lassen. Bis März 2016 will die Regierung konkrete Maßnahmen beschließen, um den Volksentscheid gegen die „Masseneinwanderung“ in die Tat umzusetzen.
Diese Verfassungsinitiative der SVP war 2014 mit der knappen Mehrheit von 50,3 Prozent der Stimmen angenommen worden. Sie zwingt die Regierung, die Zuwanderung von EU-Bürgern ab 2017 durch Kontingente zu drosseln. Dadurch befindet sich Bern auf Kollisionskurs mit Brüssel - wenn auch weitgehend ungewollt, denn alle andere Parteien hatten die SVP-Initiative strikt abgelehnt.
Bisher können EU-Bürger ohne Genehmigung in der Eidgenossenschaft arbeiten und wohnen. Dieselben Freiheiten haben Schweizer in der EU. Geregelt ist das in einer bilateralen Vereinbarung über die sogenannte Personenfreizügigkeit. Die ist allerdings Bestandteil eines ganzen Vertragspakets. Und die EU ist bisher nicht bereit, die Kündigung eines Teils zu akzeptieren, ohne dass automatisch der Rest des Pakets hinfällig wäre - darunter der wertvolle freie Zugang der Schweizer Wirtschaft zum europäischen Binnenmarkt.
Die Unternehmen des Alpenlandes warnen für diesen Fall vor Milliardenverlusten. Sie verweisen auf zwei neue Gutachten, wonach die Schweizer Wirtschaftsleistung ohne freien Zugang zum EU-Markt bis zum Jahr 2035 um 4,9 bis 7,1 Prozent sinken könnte.
Den Milliardär und SVP-Ziehvater Christoph Blocher fechten solchen düsteren Prognosen jedoch nicht an. Die Bedeutung der „Bilateralen“ werde schlicht überschätzt, wimmelt er ab. Viel wichtiger sei, so Blocher im Wahlkampf, dass die von EU-Staaten umgebende Schweiz ihre Unabhängigkeit verteidige. Sonst werde sie „zur Kolonie und letztlich zum Mitglied der EU“.
Jede Menge Streit ist also absehbar bei den künftigen Sitzungen des Kabinetts in Bern. Die viel beschworene Kompromissfähigkeit der Eidgenossen dürfte dann immer wieder mal hart auf die Probe gestellt werden.