Liebe, Leiden und Verrat: Der Fall Margarethe Ottillinger
Margarethe Ottillinger durchlitt acht Jahre in Sowjet-Lagern. Der Historiker Stefan Karner schreibt ihre Geschichte neu.
Wien — Am 5. November 1948 endet das erste Leben der Margarethe Ottillinger. Sowjetische Soldaten verhaften die erst 29-jährige Sektionschefin an der Grenze zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Besatzungszone auf der Ennsbrucke bei Enns. Der Leidensweg dauerte bis zum 25. Juni 1955, an dem Ottilliger schwer krank in Wiener Neustadt ankam.
Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme war Ottillinger eine mächtige Frau. Sie leitete die Planungssektion im Ministerium für Wiederaufbau und Vermögensverwaltung und spielte eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau der Industrie nach 1945. Die Teilung des Landes erschwerte die Aufgabe: Die USIA-Betriebe in der Sowjetzone mussten für die Besatzer arbeiten. Die Frage, wie viel Stahl sie dafür bekamen, war eine hoch politische.
Mit ihrem Chef, Minister Peter Krauland, kam Ottillinger gerade von einer Besprechung in Linz, als die Sowjets zuschlugen. Kraulands Kontakte zu US-Geheimdiensten gelten als sicher. Aber arbeitete er auch für die Sowjets? Hat er Ottillinger gar ans Messer geliefert? Immerhin fuhr Krauland allein nach Wien weiter, ohne sich an Ort und Stelle für die Freilassung seiner Mitarbeiterin einzusetzen. Einige Zeit zuvor hatte Ottillinger sogar bei den Kraulands gewohnt.
Der Historiker Stefan Karner gibt eine Antwort: „Nein, hat er nicht." Für sein neues Buch hat er mit seinen Mitarbeitern in russischen Archiven die Verhörprotokolle studiert und schreibt die Geschichte Ottillingers in Teilen neu.
Die Anklage gegen die junge Frau lautete auf Fluchthilfe und Spionage. Fluchthilfe — dahinter verbirgt sich der Name Andrej Didenko. „Ich habe ihn geliebt", sagte sie in einem Verhör über den sowjetischen Stahlfachmann, der in den Westen floh. Ottillinger und ihr Chef Krauland haben ihm dabei geholfen.
Die Spionage dichtete ihr Alfred Fockler an, ein österreichischer Kriminalbeamter mit schillernder Karriere: Er kämpfte gegen die Nationalsozialisten, schloss sich ihnen später an, nach 1945 wurde er Agent der USA.
Auch Fockler geriet in die Hände der Sowjets. Er kannte Ottillinger nicht, hatte ihren Namen aber in amerikanischen Geheimdienstkreisen gehört. Mit der Bezichtigung wollte Fockler seine Haut retten. Vergeblich. Er wurde 1951 wegen Spionage zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Auch Didenko fiel dem Sowjet-Terror zum Opfer. 1951 entführte ihn der Geheimdienst aus Westdeutschland. Seine Spur verliert sich in einer berüchtigten psychiatrischen Anstalt.
Und Ottillinger? Sie musste erleben, dass ihre Umwelt mit ihr anfangs nur wenig anzufangen wusste. 1956 konnte sie bei der damaligen ÖMV beginnen. Als spätere Vorstandsdirektorin reiste sie wieder in die Sowjetunion.
Margarethe Ottillinger starb 1992.
Buchtipp: Stefan Karner: Im Kalten Krieg der Spionage. Studienverlag, 19,90 Euro.
TV-Tipp
Universum History. Der ORF bringt anlässlich des bevorstehenden Weltfrauentages eine Spiel-Dokumentation über den Fall der Margarethe Ottillinger. Der Film basiert auf den Recherchen Stefan Karners. In der Hauptrolle: Ursula Strauss. „Die Frau, die zu viel wusste“, 4. März, 22.45 Uhr.