Doku

„A Good American“: Die Stasi auf Supersteroiden

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William Binney wurde vom NSA-Analysten zum Geheimdienst-Kritiker. Die Doku „A Good American“ erzählt seine Geschichte. Tirol-Premiere ist am Donnerstag.

Innsbruck –Der Anfang: beinahe klassisch. Die Bilder der Menschen, die in ihrer Verzweiflung aus den brennenden Türmen sprangen, hätten ihn erschüttert, sagt William Binney – und legt nach: „Wir hätten die Anschläge vom 11. September verhindern können.“ Wir, das ist die National Security Agency, die NSA also, Amerikas Auslandsgeheimdienst, der – das weiß man spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens – ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Bedenken Kommunikationsdaten sammelt. Binney war beinahe vier Jahrzehnte Mitarbeiter der NSA. Als technischer Direktor hat er die Entwicklung jener Programme, die den globalen Lauschangriff ermöglichten, auf den Weg gebracht. Binneys Meisterstück „ThinThread“ – das digitale Kanäle in aller Welt anzapfte und auf unheilvolle Absichten abklopfte – wurde wenige Wochen vor 9/11 auf Eis gelegt. Michael Hayden, damals NSA-Direktor und später Chef der CIA, bevorzugte die ungleich teurere Applikation „Trailblazer“. Auch, weil sich dafür ein größeres Gesamtbudget beim Kongress lukrieren ließ. Sagen Binney und eine Handvoll seiner Mitstreiter in Friedrich Mosers Dokumentarfilm „A Good American“.

Bereits kurz nach den Anschlägen von New York und Washington quittierte Binneys Team den Dienst. Dass ausgerechnet ein von allen Sicherheitsvorkehrungen befreiter „ThinTread“-Klon als „Stasi auf Supersteroiden“ in den „Krieg gegen den Terror“ zog – und dabei Verfassungsbruch und Freiheitsverwässerung als „Patriot Act“ rechtfertigte –, war zu viel der Demütigung. Der Profi-Überwacher William Binney wurde zum Überwachungskritiker, zum vom FBI verfolgten Whistleblower. Kurz: Zum „guten Amerikaner“. Im vergangenen Jahr erhielt er in Berlin den Sam Adams Award für Integrität im Nachrichtendienst. Einer der Laudatoren war – via Videostream – Edward Snowden. Die Essenz seiner Rede: ohne Binney, der seit 2011 die Datensammelwut der NSA öffentlich machte, kein Snowden. Das Programm, mit dem Snowden arbeitete, basiert auf Binneys Vorarbeit. Später war der NSA-Veteran einer der Ersten, die die Authentizität der von Snowden veröffentlichten Dokumente bestätigte.

Friedrich Mosers Film erzählt Binneys Werdegang mittels Interviews und atmosphärischen, nicht ganz pathosfreien Spielszenen: vom Codeknacker des Kalten Krieges zum Meta-Daten-Analysten. Dominant bleibt das nachgerade klassische Narrativ: ein genialer Einzelkämpfer in den Mühlen einer gesichtslosen Institution und ein spätes Aha-Erlebnis. Auch Techniktüftelei hat moralische Implikationen. Dass „A Good American“ etwas einseitig daherkommt, liegt auf der Hand. Alle Interview-Anfragen der Macher bei aktuellen oder ehemaligen Verantwortungsträgern blieben unbeantwortet. Genauso wie die PR-tauglich ins Zentrum gerückte Frage, ob das „ThinTread“-Programm 9/11 tatsächlich verhindert hätte. Hier gilt die auch in Geheimdienstkreisen beliebte Faustregel: Nachher ist man immer schlauer. Als Plädoyer wider die systematische Überwachung funktioniert der Film trotzdem. (jole)