Arbeitsmarkt

Tirols importierte Akademiker

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Immer mehr Tiroler Unternehmen beklagen einen steigenden Mangel an Hochqualifizierten und Akademikern. Viele holen daher gut ausgebildete Deutsche nach Tirol. Drei davon erzählen der TT von ihren Erfahrungen.

Von Martina Hentschel

Innsbruck –In Tirol arbeiteteten im Jahr 2015 laut AMS Tirol insgesamt über 16.000 Deutsche, 2008 waren es noch knapp 14.000. Mit 3629 Personen arbeiten die meisten davon im Tourismus, weiß Johannes Schranz vom AMS Tirol.

„Bei wachsenden Unternehmen steigt aber auch der Bedarf nach hochqualifizierten akademischen Fachkräften, der von Tirolern nicht ausreichend gedeckt werden kann“, betont Klaus Neumayer, Personalleiter der San­doz GmbH in Kundl. So steige auch die Zahl deutscher Fachkräfte in Tirol immer weiter: „Wir suchen viele Spezialisten aus den Bereichen Pharmazie, Chemie und Biotechnologie, die in Tirol nicht ausreichend vorhanden sind. Wir schätzen die technisch fundierte Ausbildung an deutschen Universitäten, beispielsweise in der Pharmatechnik. “

Eine dieser Spezialistinnen ist Bettina Biechele. Die Berlinerin kam 2006 nach Kundl, um für Sandoz zu arbeiten. Nach mehreren Jahren in der Entwicklung und in der Produktion unterstützen sie und ihr Team heute die Herstellbetriebe am Standort dabei, die strengen Vorgaben der Gesundheitsbehörden für Pharmaunternehmen einzuhalten. Nach einem Studium der Biotechnologie an der TU Berlin zog sie für ihren ersten Job nach München, wo sie sich erneut für die universitäre Laufbahn entschied. Sie promovierte an der TU München im Bereich Maschinenwesen/Bioverfahrenstechnik.

Im Anschluss suchte sie aktiv im deutsch- und englischsprachigen Ausland nach passenden Stellen.

Für Tirol schlug sie ein Job­angebot im niederländischen Delft aus. Die geografische Nähe zu München und ihr Bauchgefühl zogen sie nach Kundl. Diese Entscheidung habe sie nie bereut. Dafür seien nicht nur die Berge und die schöne Landschaft verantwortlich, sondern besonders der Arbeitsplatz. Die flexiblen Arbeitszeiten kommen der Mutter eines fünfjährigen Sohnes entgegen.

Während ihrer Studienzeit hatte Biechele vom Sandoz-Standort in Kundl noch nicht einmal etwas gehört. „Heute ist Sandoz auf deutschen Jobbörsen viel präsenter. Ein Unternehmen muss sich heute stark international ausrichten, was die Rekrutierung neuer Mitarbeiter betrifft“, bestätigt Julia Ager-Gruber, Head of Diversity & Inclusion und damit verantwortlich für das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter zum Unternehmen.

Zu Beginn ihrer Zeit bei Sandoz fuhr Biechele mit ihrem Chef an die Universität nach Weihenstephan, um aktiv Studenten anzuwerben. „Sie sollten mitbekommen, dass es noch andere Pharma-Unternehmen gibt“, erklärt Biechele die Beweggründe.

15 % der Sandoz-Mitarbeiter kämen aus Deutschland, weiß Neumayer. „Wir können die vielen hochqualifizierten Stellen nicht ausschließlich mit inländischen Mitarbeitern besetzen“, bestätigt Neumayer den Fachkräftemangel in Tirol. Außerdem stärke es die Vielfalt im Unternehmen, wenn ausländische Mitarbeiter mit unterschiedlichem Hintergrund eine andere Sichtweise mitbringen.

Seine hochqualifizierte Ausbildung in einem Nischenbereich verschaffte auch Sebastian Perzlmaier seine heutige Position. Der geborene Bad Tölzer studierte an der TU München Bauingenieurwesen und promovierte. Er spezialisierte sich auf den Talsperren-Bau und prädestinierte sich dadurch für die Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag).

Diese schrieb 2006 eine vakante Stelle aus, worauf sich aber aus dem näheren Umfeld Tirols niemand meldete. Durch das berufliche Netzwerk, das sich Perzlmaier in München aufbaute, erfuhr er von der Stelle und wurde genommen. Heute ist er Teamleiter in der Abteilung Wasserkraftplanung. Dort plant er an bereits bestehenden Wasserkraftanlagen und entwickelt neue Kraftwerksprojekte.

Bald nach seinem Antritt bei der Tiwag verlegte er seinen Wohnsitz samt Frau und mittlerweile drei Kindern nach Vomp. Der Nachwuchs ist zwischen sechs und elf Jahre alt und spricht mehr Tirolerisch als Bayerisch. Auch seine Frau ist als Gymnasiallehrerin in Schwaz beruflich an Tirol gebunden. Im Jahr 2009 kaufte sich die Familie ein Haus. „Ein Rückzug nach Deutschland ist nicht vorgesehen“, erzählt Perzlmaier. Doch nicht nur die Natur und die Familie hält den bergaffinen Bayern in Tirol: „Meine fachliche Spezialisierung passt genau zu dieser Stelle.“

„Hochqualifizierte Fachkräfte sind in Bereichen wie IT und Technik nur mit entsprechendem Aufwand zu finden“, weiß Andreas Falkner, Personalleiter der Tiwag. Die Zahl von Experten aus Deutschland bei der Tiwag sei daher in den letzten Jahren auf zwölf Personen gestiegen.

Familiär ist Ulrike Sattler in der Region zwar nicht gebunden, doch sie fühlt sich in Tirol heimisch. In Köln machte die Deutsche nach der Matura eine Lehre zur Werbekauffrau und studierte an der dortigen Fachhochschule Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing. Heute arbeitet sie als Projektmanagerin im Bereich Marketing Fußboden bei Fritz Egger, einem Unternehmen für Holzwerkstoffe in St. Johann. Schon in Deutschland arbeitete Sattler in einem Fußbodenunternehmen und stieß in einer Fachzeitschrift auf ein Inserat von Egger.

Da sie als Kind oft Urlaub in Tirol machte und auch gerne außerhalb Deutschlands arbeiten wollte, bewarb sie sich und bekam die Stelle im Marketing. Flexible Arbeitszeiten, ein umfassendes Gesundheitsmanagement und eine betriebliche Altersvorsorge seien für die Kölnerin Anreize, um bei Egger zu bleiben. Beispielsweise übernehme Egger die Anmeldegebühren für offizielle Laufveranstaltungen und spende für jeden erlaufenen Kilometer 5€ für karitative Zwecke. „Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Aber solange ich mich hier wohl fühle, bleibe ich in Tirol. Denn die Kombination der tollen Natur mit einer guten Arbeitsstelle macht Tirol so attraktiv“, meint Sattler.