Armutsgefährdung

Armut: Gefährdung in Österreich leicht gesunken, Caritas ist besorgt

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Vor allem Ein-Eltern-Haushalte, Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte sind betroffen.

Wien – Die Armutsgefährdung in Österreich ist in den vergangenen Jahren gesunken. 18,3 Prozent der Bevölkerung zählten im vergangenen Jahr zur Risikogruppe, ergibt eine Erhebung der Statistik Austria, die am Donnerstag vorgestellt wurde. 2008 waren es noch 23,7 Prozent. Auch wenn dies nicht dem EU-Trend entspreche, sieht Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) „Handlungsbedarf“ bei der Bekämpfung von Armut.

Die Armutskonferenz vermisst in der aktuellen Debatte um die Mindestsicherung Reformüberlegungen zu „vergessenen Problemen“ wie fehlender Soforthilfe, veraltetem Unterhaltsrecht und zu geringen Unterstützungsleistungen für Menschen mit Beeinträchtigungen.

In der Statistik versteckt sich „sozialpolitischer Zündstoff

Die Caritas zeigt sich über die aktuellen Zahlen zur Armutsgefährdung, die in Österreich leicht gesunken ist, dennoch besorgt. „ „Einmal mehr zeigt diese Statistik den Zusammenhang zwischen Armutsgefährdung und Bildungsniveau“, sagte Präsident Michael Landau am Donnerstag in einer Aussendung. Auch die Grünen sehen weiter Handlungsbedarf.

„Wir wissen aus der Praxis: Die Menschen wollen arbeiten und das Ziel muss es sein, dass Menschen für sich selbst sorgen können“, appellierte Landau an die Verantwortungsträger in der Politik. „Daher brauchen wir Arbeitsplätze und Löhne, von denen man leben kann, leistbaren Wohnraum und den Zugang zu Bildung“, meinte der Caritas-Präsident weiter. Landau fordert auch die Entlastung des Faktors Arbeit und „weit mehr Engagement“ für mehr Arbeitsplätze: „Ich vermisse kreative Wege, um den Menschen Arbeitsmöglichkeiten zu geben.“

1,5 Mio. Menschen armuts- oder ausgrenzungsgefährdet

Die Armutsgefährdung in Österreich ist in den vergangenen Jahren gesunken. 18,3 Prozent der Bevölkerung zählten im vergangenen Jahr zur Risikogruppe, ergibt eine Erhebung der Statistik Austria, die am Donnerstag vorgestellt wurde. 2008 waren es noch 23,7 Prozent. Auch wenn dies nicht dem EU-Trend entspreche, sieht Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) „Handlungsbedarf“ bei der Bekämpfung von Armut.

1,5 Millionen Menschen waren im Jahr 2015 aufgrund ihres geringen Einkommens, erheblicher Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen oder einer niedrigen Erwerbsbeteiligung in Österreich armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Das Europa-2020-Ziel für Österreich sieht eine Reduktion um 235.000 Personen vor. 385.000 Menschen sind zudem von mindestens zwei dieser drei Merkmale betroffen. In der aktuellen EU-Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) liegt Österreich nicht im Trend. Der europäische Durchschnitt stieg von 23,7 Prozent 2008 auf 24,5 Prozent 2014.

Ausbildung für junge Menschen besonders wichtig

Zu den Risikogruppen zählen in Österreich laut Statistik Ein-Eltern-Haushalte, kinderreiche Familien, Langzeitarbeitslose, Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft und gering Qualifizierte. Personen mit Lehrabschluss sind nur halb so oft von Armut oder Ausgrenzung betroffen wie jene mit Pflichtschulabschluss. „Es ist daher besonders wichtig, dass jeder junge Mensch eine Ausbildung erhält, die über den Pflichtschulabschluss hinausgeht“, betonte Stöger. Auch die Ausbildungspflicht sei daher eine wichtige Maßnahme zur Armutsbekämpfung.“

Fast ein Viertel der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten (24 Prozent bzw. 380.000 Personen) waren in Österreich Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren. Das Risiko sozialer Ausgrenzung lag für diese Altersgruppe mit 22 Prozent über dem der Gesamtbevölkerung (18,3 Prozent). 34 Prozent dieser Gruppe ist es laut Erhebung etwa nicht möglich, ankostenpflichtigen Freizeitaktivitäten wie Sport-oder Musikkursen teilzunehmen. Jedes zweite Kind (48 Prozent) aus einem armuts- oder ausgrenzungsgefährdetem Haushalt muss auf einen jährlichen Urlaub verzichten.

Im EU-Vergleich zeigt sich positiver Trend

Immerhin zeige sich für Österreich - anders als im EU-Schnitt - ein positiver Trend, betonte auch Stöger. Dennoch gebe es genug zu tun. „Es geht darum, Slums zu verhindern“, meint Stöger. Vor allem will der Sozialminister laut eigener Aussage Sicherheit geben. Populismus sei in der Sozialpolitik der falsche Weg, warnte er. Stöger kritisierte auch, dass immer weniger Lehrplätze in Österreich geschaffen und damit weniger qualifizierte Fachkräfte ausgebildet würden: „Da hört man, dass alle jammern, dass sie sie nicht haben. Aber warum bilden sie sie dann nicht aus?“

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Mindestsicherung: Armutskonferenz verweist auf „vergessene Probleme“

Nicht der Missbrauch, sondern die hohe Nicht-Inanspruchnahme sei das Problem, betonten Vertreter der Armutskonferenz am Donnerstag.

Die Sozialämter fordern Antragsteller vielerorts pauschal dazu auf, ihre Angehörigen auf Unterhalt zu klagen“, kritisierte Martina Kargl, Sozialexpertin der Caritas Wien, im Rahmen einer Pressekonferenz. „Die Folge ist, dass viele Personen von einer Antragstellung absehen“. Obwohl im Jahr 2013 laut Zahlen der Statistik Austria und der Mindestsicherungsstatistik 14,1 Prozent der Bevölkerung einkommensarm waren, erhielten nur 2,8 Prozent die Mindestsicherung. „Das heißt, es ist nicht Missbrauch das Problem, sondern die hohe Nicht-Inanspruchnahme trotz gravierender Notlage“, betonte Kargl. „Der Missbrauch liegt im Promillebereich.“

Verbesserungsbedarf bei Soforthilfe

Dringenden Verbesserungsbedarf sah Kargl außerdem in Bezug auf die Soforthilfe. Auch wenn die Entscheidungsfrist von sechs auf drei Monate verkürzt wurde, brauche es in diesen drei Monaten Unterstützung bei der Miete, dem Lebensunterhalt und im Krankheitsfall. „Die Strukturen für eine effektive Soforthilfe fehlen fast überall.“

Heilbehelfe oft nicht leistbar

Auch im Bereich der Gesundheitsleistungen gebe es gravierende Lücken, sagte Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie: Therapien und Heilbehelfe wie Brillen, Hörgeräte oder ein moderner Rollstuhl seien für Bezieher der Mindestsicherung oft nicht leistbar. Im Rahmen der Reform der Bund-Länder-Vereinbarung müsse es daher auch ein erleichterter Zugang zu diesen Leistungen und eine unbürokratische finanzielle Unterstützung geregelt werden, forderte Schenk. „Obwohl seit einem halben Jahr die Debatte über die Mindestsicherung läuft, werden diese Probleme nicht angesprochen“, kritisierte er.

Zu den Forderungen der Armutskonferenz zählt auch die bessere Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigungen: „Menschen mit Beeinträchtigung sind eine vergessene Gruppe in der Mindestsicherung“, sagte Norbert Krammer vom Sachwalterverein „VertretungsNetz“. Diese hätten oft höhere Lebenshaltungskosten, erhielten aber in der Regel in der Mindestsicherung keine zusätzlichen Hilfestellungen. Krammer forderte statische Erhebungen, „damit diese Gruppe sichtbar wird und man besser auf ihre Bedürfnisse reagieren kann“. (APA)