Architekturbiennale: Detaillierte Berichte von der Front
Beinhart zur Sache geht es bei der 15. Architekturbiennale von Venedig. Steht doch nicht nur die Zukunft des Bauens auf dem Spiel.
Von Edith Schlocker
Venedig –Auf dem Sujet, das die Plakate, Kataloge und sämtliche Drucksorten der 15. Architekturbiennale von Venedig ziert, ist von Architektur weit und breit nichts zu sehen. Steht hier doch eine Frau auf einer Leiter und blickt in die wüstige Ferne. Was sie hier sieht, bleibt ganz im Sinne von Alejandro Aravena, dem Direktor der alle zwei Jahre in den venezianischen Giardini, im Arsenale und im gesamten Stadtraum zelebrierten Weltausstellung der Architektur offen. Wirklich schön dürfte die Aussicht allerdings nicht sein.
Die Konsequenz ist eine Architekturbiennale, in der es fast nicht um die Baukunst im engeren Sinn, sondern um das Bauen als soziales Projekt geht. Um ein „Reporting from the Front“ haben sich diesmal 65 Länder jeweils aus ihrer Perspektive eingelassen. Genauso wie Aravena selbst in der von ihm kuratierten programmatischen Schau im zentralen Pavillon in den Giardini bzw. im Arsenale.
88 Architekten aus 37 Ländern zeigen hier ihre teilweise verstörenden Zustandsbilder bzw. Zukunftsvisionen. Gebe es doch „etliche Kämpfe, die gewonnen und etliche Grenzen, die verschoben werden müssen“, so Aravena, der nicht zuletzt durch seine innovativen Selbstausbauhäuser in Chile und Mexiko mit dem diesjährigen Pritzkerpreis ausgezeichnet worden ist.
Programmatisch sind bereits die Entrees zu den beiden Teilen seiner Schau. Werden diese doch mit monumentalen Rauminstallationen aufgemotzt, die aus rund 100 Tonnen Gipsbetonplatten und Aluträgern, die von vergangenen Biennalen übrig geblieben sind, gebastelt wurden. Als einer der ganz wenigen heurigen Beiträge, in denen es um Grenzgänge zwischen Kunst und Architektur geht. Aber auch um Recycling in Zeiten knapper Ressourcen, über das vielfach kreativ nachgedacht wird. Genauso wie über die globalen Probleme von Ungleichheit, Segregation, Umweltverschmutzung, Verkehr, Naturkatastrophen und Abfall. Trocken theoretisch durchdekliniert oder anhand von technischen Spielereien wie etwa komplizierten Kuppelkonstruktionen konkret vorgeführt.
Da freut sich der schon etwas ermüdete Biennale-Besucher über die monumentale Lichtinstallation von Transsolar, die vom Arsenaledach aus gebündelte Lichtstrahlen quer durch den Raum schickt. Angelockt durch heimatlich klingende Glockenklänge bleibt man aber auch beim Auftritt der Vorarlberger Architektenbrüder Marte/Marte hängen. Die drei ihrer eindrucksvoll archaischen Gegenentwürfe zur Landschaft nicht nur filmisch vorführen, sondern in Betonklötze gegossen haben.
In den Länderpavillons sind die Fronten klar definiert. Etwa als fast rührender Aufschrei im winzigen Pavillon des Jemen, dessen einzigartigen historischen Architekturen akut durch den Bürgerkrieg bedroht sind. Mit wie wenig man den Verlust von Heimat ausdrücken kann, führen dagegen die Albaner durch einen mehrstimmigen Gesang im sonst leeren Raum in unvergesslicher Nachhaltigkeit vor.
Die Spanier füllen ihren Pavillon mit absurden Bauruinen, die Schweizer haben für den ihren eine amorphe höhlige Struktur erfunden, entworfen am Computer und gebaut aus einem ganz leichten Hightech-Material. Thailand lässt den Biennale-Besucher hautnah fühlen, wie sich ein Beben der Erde anfühlt. Gemütlicher geht es bei den Australiern zu, die einen großen Swimmingpool aufgestellt haben, in den man seine müden Füße tauchen kann.
Eine grundsätzliche Neuorientierung signalisieren die Chinesen in ihrem wunderschön zelebrierten Beitrag. Während es bei ihnen in den vergangenen drei Jahrzehnten höher und schriller kaum gehen konnte, scheint nun ein Sich-Besinnen auf authentische Traditionen des Bauens heraufzudämmern.
Etwas versteckt im dezentralen Palazzo Malipiero findet sich das Projekt „Solana Ulcinj“ als montenegrinischer Beitrag. Kuratiert von Bart Lootsma, dem Architekturtheoretiker der Innsbrucker Uni. Es geht um die Zukunft einer 14,9 Quadratkilometer großen künstlichen Landschaft mit einer einzigartigen Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren. Vier Projekte wurden speziell dafür entwickelt, eines für ein Museum von den Innsbrucker LAAC Architekten.
Wie bei den Österreichern ist auch bei den Deutschen der Umgang mit Flüchtlingen das einzige Thema. Während bei uns schön – auch – mit Emotionen gespielt wird, geht es bei unseren Nachbarn sehr pragmatisch zu. Unter dem Motto „Making Heimat“ stellt sich Deutschland als offenes Land dar, präsentiert in einem „offenen“ Haus, signalisiert durch vier große Öffnungen, die in die denkmalgeschützten Wände des deutschen Pavillons geschlagen wurden.