Genuss

Wurzeln, Schalen, Blätter: Für den Biomüll zu schade

Nicht nur beim Radieschen können kreative Köche mehr verkochen, als man glaubt.
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Wurzeln, Schale und Blätter von Gemüse landen oft im Müll – völlig zu Unrecht findet Koch Johann Reisinger. Er verwandelt die ganze Pflanze in geschmackvolle Gerichte.

Von Deborah Darnhofer

Wien – Wie schmeckt ein Radieschen? Nach Radieschen würden die meisten jetzt wohl antworten und meinen damit die Rettich-Schärfe. Doch die kleine rote Pflanze mit ihren pelzigen grünen Blättern hat geschmacklich mehr zu bieten. Sie besitzt auch süße bis erdige Noten und ein frisches, knackiges Aroma. So beschreibt es der steirische Koch Johann Reisinger (56).

Mit seiner „Natürlichen Küche“ beschreitet er seit fast 20 Jahren immer noch neue Wege: Denn bei Reisinger bleibt der Biomüll leer. Wurzeln, Schalen, Blätter, kurz: alles was die Pflanzen hergeben, landen im Kochtopf. „Für mich gibt es immer nur die totale Verwendung eines Lebensmittels, total heißt von Kopf bis Fuß oder von der Wurzelspitze bis zur Blattspitze, bis ins letzte Detail.“ Das ist auch heute noch ungewöhnlich und sorgt bei seinen Kochvorträgen immer wieder für Staunen.

Für die meisten sei es unvorstellbar, dass grüne Blätter nach etwas schmecken. Dabei enthalten sie, wie auch die Stiele und Wurzeln, eine „extrem hohe Dichte an Geschmackskomponenten“. „Wenn ich Radieschenblätter entsafte, dann habe ich einen tollen Radieschengeschmack, feiner und nuancenreicher als der Geschmack der Knolle“, sagt der Koch, bekommt leuchtende Augen und spricht von einer „Explosion am Gaumen“, einem „wahren Feuerwerk“.

Dies sei auch bei einer Karotte der Fall, deren Knolle, Stiele und Blätter gepresst, getrocknet, geschmort und pulverisiert werden können (wie die Rezepte unten beweisen). „Du schmeckst eine Karotte, die du vorher gar nicht wahrgenommen hast“, beschreibt Reisinger den Geschmack der entsafteten Karottenstiele, die „eigentlich nur Abfall sind“. Bei dem 56-Jährigen ist die Karottensuppe deshalb nicht orange, sondern grün. Der Geschmack? „Sensationell.“

Davon konnten sich jüngst auch die Kulinarik-Experten der Slow-Food-Universität im italienischen Pollenzo überzeugen. Reisinger war „als erster Österreicher“ eingeladen und durfte seine „Natürliche Küche“ vorstellen – mit Erfolg. Dabei servierte er nicht nur Suppe. Die vernachlässigten Pflanzenteile eignen sich für mehr. Aus den Schalen wird zunächst ein Fond gekocht, dann werden sie getrocknet und zu einer knusprigen Beigabe zum Salat. Darüber hinaus können Schalen nach dem Trocknen pulverisiert werden und eignen sich für Nudelteig, Butter und Brot.

„Für den Großteil der Menschen zählt oft nur die Knolle. Ihnen ist nicht bewusst, dass das Drumherum, die Blätter, Schale und Wurzeln den wirklichen Kick geben“, betont Reisinger. Als Beweis zerlegt er Karfiol vor seinem inneren Auge. Dem Kopf schenkt er zuallerletzt Aufmerksamkeit. Zunächst werden die Wurzeln gut abgewaschen und angebraten. „Ein erdiges Aroma“ entfaltet sich. Der Stiel wird geschält und im eigenen Saft geschmort und gedünstet. „Das ergibt eine süße Note.“ Mit den Schalen lässt sich ein Fond ansetzen. Die grünen Blätter mit ihrer „frischen Note“ gibt Reisinger in den Entsafter und verwendet den Saft als Marinade oder zum Verfeinern. Zu guter Letzt verrät er, was mit dem Karfiolkopf passiert. „Er wird als Ganzes geräuchert, ist schneeweiß, hat aber aromatische Rauchnoten.“

Zugegebenermaßen eine spektakuläre Vorstellung. Dabei soll es aber stets simpel zugehen. „Für mich soll die Küche so natürlich wie möglich sein, das ist mir am liebsten. Ein natürlich gewachsenes Lebensmittel hat den kräftigsten Geschmack.“ Statt allerlei Schnickschnack legt der Koch, der auf einem Bauernhof aufgewachsen ist und sich als „Bauernbua“ bezeichnet, großen Wert auf die Qualität der Lebensmittel. Er empfiehlt daher „biologisch-dynamisches Demeter-Gemüse“, die Pflanzen werden dabei im Einklang mit der Natur angebaut. Auch selbst gezogenes Gemüse ist denkbar oder ein Anbau „wie in früheren Zeiten“, ohne aggressive Zusatz- oder Pflanzenschutzmittel.

Wer nun glaubt, Reisinger sei glühender Vegetarier, der sich nur um Pflanzen kümmert, irrt gewaltig. Der „Bauernbua“ isst gerne Speck und Grammeln und gibt zum geräucherten Karfiol Fisch-Innereien, wie Leber und Rogen. Reisinger geht es auch nicht darum, Geld zu sparen oder Müll zu vermeiden. Ihm liegt eine sinnvolle Verwertung am Herzen – die beginnt an der Wurzel und endet am Blatt.

Grüne Radieschensuppe und Einkornauflauf mit Giersch an Karottensauce von Koch Johann Reisinger

Zutaten für die grüne Radieschensuppe (für vier Personen)

3 Bund Radieschen, 120 g Schalotten, 20 g Butter, 600 ml Gemüsefond, Salz, 40 g kalte Butterstücke zum Vollenden.

Zubereitung: Vier Radieschen zur Seite geben, um sie später als Einlage zu verwenden. Das Kraut der Radieschen abschneiden, gut waschen, blanchieren und fein pürieren (oder mit einem guten Gemüseentsafter entsaften).

Zubereitung

Radieschen und Schalotten in Spalten oder Würfel schneiden, in Butter andünsten, mit dem Gemüsefond aufgießen und 10-15 Minuten köcheln lassen.

Die Suppe mit dem Stabmixer fein pürieren, mit dem grünen Radieschenpürree oder -saft und etwas Salz abschmecken, mit kalten Butterstücken nochmals kurz aufmixen. Mit klein geschnittenen Radieschen als Einlage servieren.

Zutaten für Einkorn-Gierschauflauf mit Karottensauce (für vier Personen)

150 g Einkorngetreide Reis (in ausgesuchten Supermärkten oder Bioladen erhältlich), 60 g Schalotten (fein geschnitten), 2 EL Rapsöl, 300 ml Wasser, 3 Eidotter, Salz, 100 g Giersch (wildes Gartenkraut mit dreieckigem Stängel und Petersilie-Note) oder Kresse, 2 Eiweiß, Prise Salz. Für die Karottensauce: 400 g Karotten (empfohlene Sorte: Purple Dragon), 1 EL eiskalte Butter, Spritzer Zitronensaft. Zum Garnieren: Giersch, Kresse, andere Wildkräuter.

Zubereitung

Die Formen mit Butter und Bröseln auskleiden. Giersch oder Kresse waschen und fein schneiden. Die Schalotten und Einkorn in etwas Öl anschwitzen und mit dem Wasser aufgießen. Anschließend aufkochen, salzen und zugedeckt bei schwacher Hitze unter mehrmaligen Umrühren ca. 25 Minuten dünsten.

Die Masse ist fertig, wenn das Korn noch einen leichten Biss und eine cremig Konsistenz hat. Von der Herdplatte nehmen und abkühlen lassen. In die Masse Eidotter und Giersch (oder Kresse) einrühren und abschmecken. Eischnee schlagen, unterheben und den Auflauf in die vorbereiteten Formen füllen, im vorgeheizten Back Rohr bei 180°C Umluft ca. 20 Minuten backen.

Für die Sauce die Karotten entsaften. Den Saft in einem Topf zu zwei Dritteln einkochen lassen.

Die Rückstände, die während des Kochens an der Topfinnenfläche entstehen, mit einer Gummispachtel ständig in den kochenden Saft schieben. Die Rückstände enthalten Farb- und Geschmacksstoffe. Vor dem Anrichten die Sauce mit einem Spritzer Zitronensaft und kalten Butterstückchen vollenden. Den gestürzten Auflauf mit der Sauce und Giersch, Kresse oder anderen gehackten Kräutern anrichten.

Tipps: Einkorn ist eine alte Getreidesorte, die wertvolle Inhaltsstoffe enthält, unter anderem einen extrem hohen Anteil an Karotinoiden.

Die Schalen der Karotten können weiter verwertet werden. Für einen Auszug die Schalen in einem Topf mit etwas Fett schmoren, so lange bis die Flüssigkeit der Schalen langsam verdunstet und die Schalen durch den enthaltenen Zucker karamellisieren. Dann wird mit Wasser aufgegossen und die Schalen ausgekocht. Den Auszug als Fond verwenden.

Die Schalen anschließend ausdrücken, auf ein Backpapier geben und bei 40 Grad im Backofen oder Dörrautomaten über Nacht trocknen lassen. Die Schalen können als Chips im Salat verwendet oder zu Pulver verarbeitet werden. Das Pulver und auch der Karottenrückstand vom Entsaften können Brotteig oder Butter geschmacklich verfeinern.

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