Natur

Von wegen „Mops-fidel“

Chihuahuas wiegen teils nur noch 500 Gramm. Diese Zucht hatte zur Folge, dass die Winzlinge heute extrem fragile Knochen haben. iganten wie die Dogge hingegen werden stetig noch größer gezüchtet, sodass ihre Gelenke leiden.
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Aus einst stolzen Hunderassen werden langsam, aber stetig Tierarzt-Stammkunden. Schuld sind sinnlose Zuchtstandards. Die Tiere leiden ein Leben lang unter den Folgen dieser Qualzucht.

Von Judith Sam

Innsbruck –Designerküche, Designerschmuck, Designerkleidung – man umgibt sich heutzutage gerne mit Modeerscheinungen. „Das trifft leider auch auf unsere Haustiere zu. Ein normaler Mischling reicht vielen Hundebesitzern nicht. Es muss schon ein reinrassiges Tier sein, ein Designerhund“, bemängelt Irene Sommerfeld-Stur. Die Genetikerin erforschte bis zu ihrem Ruhestand die Nachteile der „Qualzucht“ an der Veterinärmedizinischen Universität Wien: „Das Genetik-Wissen ist heute größer denn je. Trotzdem treten bei Hunden stetig mehr Erbfehler, defekte Gene und Gesundheitsprobleme auf.“

Viele Züchter und Hundehalter seien sich dessen nicht bewusst: „Möpse etwa ringen wegen ihrer kurzen Schnauzen 24 Stunden täglich um Sauerstoff. Das hört man bei jedem röchelnden Atemzug. Und Sie glauben nicht, wie oft ich von Hundebesitzern sogar höre, dass sie dieses Geräusch niedlich finden.“

Der Standard besagt, dass der Widerrist (der Übergang vom Hals zum Rücken) der höchste Punkt des Schäferhund-Rückens sein soll. Als Folge sind die Hinterläufe nun so kurz, dass der Hund an Fehlstellungen leidet.
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Vor allem geschlossene Rassepopulationen seien diesbezüglich von Nachteil: „Nach den Weltkriegen gab es bei vielen Rassen nur noch wenige Hunde. Deren Zahl konnte man zwar vergrößern, die genetische Vielfalt jedoch nicht.“ Trotz dieser genetischen Verarmung setzen viele Züchter auf „Linienzucht“, durch die rasch ein Rassebild mit den gewünschten Merkmalen entsteht: „Dies führte allerdings zu einer zusätzlichen genetischen Verarmung. Wenige ausgewählte Rüden setzte man nämlich im Übermaß ein. Manchmal wurde sogar jede zweite Hündin vom selben Tier gedeckt. Und diese Praxis ist teils immer noch gängig.“

Auch die hohe Gewichtung von Ausstellungserfolgen trage zur genetischen Verarmung bei. „Dabei erhalten oft Hunde wegen Bagatellfehlern wie Wechselnasen, wo sich die Nasenfarbe je nach Saison leicht ändert, keine Zuchterlaubnis, während bei Ausstellungssiegern auch gesundheitsrelevante Merkmale akzeptiert werden“, weiß Sommerfeld-Stur, die kürzlich ihr Buch „Rasse­hundezucht – Genetik für Züchter und Halter“ (Verlag Müller Rüschlikon) herausgegeben hat. Ein typisches Beispiel seien Dalmatiner – eine Hunderasse, die zu Taubheit neigt: „Es ist bekannt, dass Hunde mit so genannten Platten, das sind größere schwarze Flecken, seltener taub sind. Platten sind aber unerwünscht und gelten als Zuchtausschlussgrund.“

So hässlich, dass sie schon wieder irgendwie niedlich sind: Unter diesem Credo werden Nackthunde gezüchtet, die leicht frieren, rasch einen Sonnenbrand bekommen und an Immunschwächen leiden.
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Um wieder mehr genetische Varianz zu garantieren, rät die Niederösterreicherin zu Einkreuzungen: „Bei Sportpferden ist es üblich, rassefremde Vollblüter einzukreuzen. Bei Hundezüchtern birgt dies allerdings den Nachteil, dass man dies außerhalb der Zuchtverbände tun müsste. Damit würden den Züchtern die besten passenden Zuchtpartner verwehrt.“

Die Zuchtverbände hätten sich nämlich der Reinrassigkeit verschrieben und nutzen Einkreuzungen nur als letzten Ausweg: „Dabei gibt es Rassen, wie den ,Kromfohrländer‘, die bereits extrem genetisch verarmt sind, so dass ein Erhalt der Rasse de facto nur noch über Einkreuzungen möglich ist.“

"Wer schnarcht da so laut?“ Eine typische Frage an Mops-Besitzer. Die Hunde können kaum durch die Nase atmen, würgen bei der Futteraufnahme und haben eine schlechte Thermoregulation.
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Rechtlich hätten die Züchter trotz allem quasi freie Hand: „Die Hundezucht ist nicht gesetzlich geregelt. Zwar gibt es einen Qualzuchtparagraphen im Tierschutzgesetz, dessen Umsetzung in der Praxis aber auf große Schwierigkeiten stößt.“ In jedem einzelnen Fall müsste man nämlich eruieren, ob es sich um Qualzucht handelt oder nicht. Das ist im Alltag kaum möglich.

Umso wichtiger sei es, dass Hundebesitzer ihren Teil zur Entwicklung des Zuchtverhaltens beitragen: „So genannte ,Retromöpse‘, die wieder etwas längere und damit weniger funktionelle Schnauzen haben, sind derzeit gefragt. Da hoffe ich ausnahmsweise, dass das keine vorübergehende Modeerscheinung ist.“

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