Edith Kern: Ein bewegtes Leben
Die österreichische Physiotherapie-Ausbildung feiert heuer ihr 100. Jubiläum. Mit ihrer Tanz-Vergangenheit brachte Edith Kern von Tirol aus Bewegung in die Schule.
Von Theresa Mair
Innsbruck –Mit einem Ruck steht Edith Kern auf, schnappt sich einen Stuhl und schiebt ihn vom Tisch weg. Sie braucht Platz. Der Gehstock bleibt indes am Nachbarsessel angelehnt. „Ja freilich kann ich etwas vorzeigen!“ Mit den Händen hält sie sich an der Lehne, streckt die Beine abwechselnd in die Höhe. Dann setzt sie sich: „Wir kreisen die Schultern“, sagt sie, als ob ihre Schüler vor ihr stehen würden. Kaum zu glauben, dass Edith Kern im August ihren 91. Geburtstag feiert. „Die alten Leuten müssen in Bewegung bleiben“, sagt sie. Deshalb leitet Tirols Physiotherapie-Pionierin im Innsbrucker Nothburgaheim das Sesselturnen für Senioren. Ihre Kenntnisse würden auch heute noch ausreichen, um als Therapeutin zu arbeiten, nur der Oberschenkel mache nach einem Bruch nicht mehr mit.
1925 in Wien geboren, blickt Kern auf ein bewegtes, von Zufällen geprägtes Leben zurück. „Als die Russen kamen, wollte meine Familie nach Amstetten, doch der Zug ist erst in Biberwier stehen geblieben“, erzählt sie. Ab 1945 war Kern 13 Jahre lang am Tiroler Landestheater als Gruppentänzerin mit Soloverpflichtungen engagiert. „In dieser Zeit ist alles passiert. Ich habe geheiratet, einen Sohn bekommen, und 1954 wurde ich von meinem Mann geschieden.“ Schon damals hat sie am Landeskrankenhaus Gymnastikkurse gegeben. So hat es sich ergeben, dass sie nach der Anstellung am Theater an der Schule für Medizinisch-Technischen Dienst in der Klinik bleiben konnte. „Ich wurde angelernt, war dann 1962 die erste Schülerin der Wiener Schule für Physiotherapie und habe nach nur einem Jahr alle Prüfungen abgelegt. Ich war gleichzeitig Therapeutin und Schülerin. Die Vorlesungen in Physiologie, Anatomie, Neurologie und so weiter haben damals noch Ärzte gehalten.“
Heuer feiert die Physiotherapie-Ausbildung in Österreich ihr 100-jähriges Bestehen. Als in Innsbruck der erste Ableger entstand, hat man sich aber noch kaum bewegt. „Cornelia Mattesich, meine Kollegin, hat die Schule geleitet. Wir beide haben alles gemanagt. Das meiste war mit galvanischem Strom. Ich habe mit Haltungsturnen begonnen und wir sind viel in die Schweiz und nach Deutschland gereist. In Österreich gab es keine Kurse.“
Die Physiotherapie war zu dieser Zeit noch im Keller der alten Klinik für Innere Medizin angesiedelt, die Therapeutinnen trugen weiße Schürzen, wie auf alten Fotos von Kern zu sehen ist. Pro Jahrgang wurden 24 Schülerinnen über zwei Jahre ausgebildet. In den 1970er-Jahren kam dann Bewegung in die Ausbildung. Die ersten Männer absolvierten die Schule, Turngeräte etablierten sich, und es begann das Turnen mit alten und kranken Menschen. „Zu Mittag und am Abend habe ich mit den Studenten an der Uni immer rhythmische Sportgymnastik gemacht. Ich war nie halbtags angestellt, immer Vollzeit.“ Wenn man die erste Physiotherapeutin Tirols heute besucht, kann man sich vorstellen, wie sie damals vor Energie sprühte. „Plagt mich nicht zu sehr“, hatte sie vor dem Treffen mit der TT gebeten. Doch dann war es, als sei das Turnen auch mit 90 noch ein Kinderspiel für sie.