Beirut, neue alte Drehscheibe
DJ Ernesto Chahoud lädt zum Tanz durch die Musikgeschichte des Libanon.
Innsbruck –Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 galt Beirut als das Paris des Nahen Ostens, heute ist es eine Partymetropole. Dass die Hauptstadt des Libanon wieder auf der musikalischen Landkarte zu finden ist, liegt unter anderem auch an Ernesto Chahoud. Der DJ, Ladenbesitzer und Sammler besitzt um die 10.000 Vinylscheiben, Mainstream-Platten lässt er links liegen, ihm geht es um eine alternative Musik- und Clubkultur, so der Philosophiestudent, der gerade an seiner Doktorarbeit über Künstliche Intelligenz schreibt. Vergangenen Sonntag hätte er eigentlich im Waltherpark auflegen sollen – das Wetter hat nicht mitgespielt, tags darauf konnte man Chahoud im Innkeller hören.
Die Parties, die er als DJ Spindle mit dem von ihm mitgegründeten Beirut Groove Collective in seiner Heimat veranstaltet, sind legendär. Der Kultursender Arte hat bereits mitgefeiert, in einer Reisebeilage der New York Times wurde die Reihe als eine von 15 exzellenten Parties weltweit empfohlen. Schauplatz sind weniger die schicken Clubs als verfallene Häuser, auch am Strand sorgte das Beirut Groove Collective bereits für ausgelassene Stimmung – dabei sind die Regeln äußerst strikt: Ausschließlich 45-Vinyl-Singles werden aufgelegt, African Funk, Soul oder Northern Soul stehen am Programm, zudem werden DJs aus aller Welt in den Libanon geholt. Der Schotte Keb Darge war etwa schon zu Gast oder auch der aus Innsbruck stammende DJ und Produzent d.b.h. (von den Tiroler HipHop-Pionieren Total Chaos). Dessen aktuelles Projekt Restless Leg Syndrom gefällt Chahoud, es steche durch seine Sorgfalt aus dem aktuellen Hype um arabische Musik heraus. „Meistens sind diese DJ-Sachen mit arabischen Samples nicht so gut, aber das Restless Leg Syndrom hat die Musik genau studiert“, so Chahoud. Sein eigenes Interesse an arabischer Musik sei längst abgeflaut, die äthiopische Musik habe es ihm mehr angetan.
Bekannt wurde der DJ dennoch für eine Compilation mit Disco-Belly-Dance und Arabic-Funk-Musik. Der britische Guardian listete seinen Mix auf der „Best Middle Eastern“-Playlist 2015. „Die arabische Compilation habe ich schon vor fünf Jahren gemacht, ich dachte mir, dass das spannend sein könnte und habe bei allen relevanten Labels gefragt, ob sie Interesse hätten. Damals wollte es keiner haben, jetzt sind alle verrückt danach“, erklärt der DJ, dessen Vater die einzige kommunistische Bar in Beirut betreibt. Sein Musikgeschmack habe sich nicht zuletzt durch das Durchhören schlechter Platten gebildet. „Je mehr Sachen man hört, die einem nicht gefallen, umso besser lernt man, welche Musik man mag“, sagt der Sammler, der bereits als Junge – nach Ende des Bürgerkrieges 1990 – begonnen hatte, die Flohmärkte der Stadt zu durchforsten. Das macht er auch heute noch, der Vinyl-Boom hat die Preise mittlerweile in absurde Höhen getrieben. „Die billigsten Platten auf meiner Wunschliste kosten um die 300 Dollar“, so der Ladenbesitzer.
Mit seiner Leidenschaft knüpft er derweil an eine einstmals blühende Musikszene an, viele Plattenläden und Presswerke hat es vor dem Bürgerkrieg im Libanon gegeben. Das Partyvolk darf gespannt sein, welche Raritäten Chahoud demnächst aus seinem Köfferchen zaubert. (sire)