Kinderwunsch

Co-Parenting: Mama und Papa sind Freunde

© wagner

Sie lesbisch, er schwul. Christine Wagner und Gianni Bettucci sind kein Liebespaar, haben aber eine Tochter. Co-Parenting heißt das Modell, bei dem Eltern Freunde sind.

Von Nicole Strozzi

Berlin –Als wir Christine Wagner telefonisch erreichen, ist sie mit ihrer Tochter Milla gerade auf dem Spielplatz. Also genau dort, wo Zweieinhalbjährige am liebsten sind. Millas Papa heißt Gianni Bettucci, ist 42 Jahre alt, ein in Berlin lebender Italiener – und Mamas bester Freund. Co-Parenting nennt sich das Familienmodell, in dem Milla aufwächst. Mama und Papa sind kein Liebespaar, sondern ein in Freundschaft verbundenes Team – Co-Eltern sozusagen.

Wagner ist lesbisch, Bettucci ist schwul. Die beiden Deutschen haben sich Ende 2011 im Internet auf der Plattform familyship.org kennen gelernt, weil die zwei denselben Wunsch hatten: Sie wollten ein Kind.

Wagner selbst hat dieses Online-Portal gegründet. „Ich wollte, dass mein Kind einen aktiven Vater hat und nicht nur einen anonymen Samenspender“, erzählt die 33-jährige Ärztin. Nach einer erfolglosen Suche auf Internet-Datingportalen und zahlreichen gefloppten Treffen mit potenziellen Kindsvätern beschloss Wagner, die dazumal noch mit ihrer Ex-Partnerin Miriam Förster zusammenlebte, ihre eigene Kinderwunsch-Internet-Vermittlung zu gründen.

Co-Parenting – Was ist das?

C o-Parenting bezeichnet das gemeinsame Elternsein ohne Liebesbeziehung.

Auf www.familyship.org können Menschen in Kontakt kommen, die auf freundschaftlicher Basis eine Familie gründen wollen. Die erste Anmeldung kostet 17,90 Euro. Dann können sich Nutzer ein Profil anlegen und angeben, wen sie suchen: z. B. einen Vater, der aktiv am Leben des Kindes teilhat oder jemanden, der nur als Samenspender fungiert.

„Dann ging alles relativ schnell“, erinnert sich die Berlinerin. Gianni, ein Theatermanager aus Florenz, meldete sich, und die Chemie stimmte. Ein Jahr lang dauerte das Kennenlernen. Die Beziehung mit Miriam Förster ging in der Zwischenzeit in die Brüche, doch der Wunsch nach einem Baby blieb. Nach drei Versuchen klappte es: Bettucci und Wagner zeugten ihre Milla mit der so genannten Bechermethode (dabei führt die Frau Spermien aus dem Becher z. B. über eine Einwegspritze in die Gebärmutter ein). Das bedeutete: Immer wenn die 33-Jährige ihren Eisprung hatte, trafen sich die beiden zur „Becherübergabe“. Dafür reiste Wagner ihrem Freund, der beruflich in Moskau zu tun hatte, sogar nach Russland hinterher. Funktioniert hat es aber schlussendlich daheim in Berlin. Zwei Monate zu früh kam die kleine Milla, die im Oktober drei Jahre alt wird, zur Welt.

Der Alltag gestaltete sich wie bei vielen Jungeltern turbulent. Doch heute sind die drei ein eingespieltes Team und leben gemeinsam in Berlin. Bettucci wohnt mittlerweile in der Wohnung nebenan, demnächst ist ein Durchbruch der beiden Wohnungen geplant. Die Eltern teilen sich das Sorgerecht, die Pflichten und die Ausgaben. Sonst führt jeder der beiden Singles ein Leben für sich. „Wir haben fast jeden Tag Kontakt, sind füreinander da, geben uns aber den nötigen Freiraum“, erzählt Wagner. In Millas Kindergruppe wisse man Bescheid, Probleme gebe es dort aber keine. Und auch die Großeltern hätten sich mittlerweile gut mit der Konstellation arrangiert. „Im Moment hat Milla noch keine Fragen“, so Wagner, aber sollte es so weit sein, dann werde es ein offenes Gespräch geben.

„Die Plattform familyship.org haben wir ehrlich gesagt nach der Schwangerschaft einfach laufen lassen“, erzählt die junge Mutter. Umso erstaunter war sie, als sich auf der Internetseite weiterhin regelmäßig Nutzer meldeten. Seitdem pflegen Wagner und ihre Ex-Partnerin Miriam Förster die Seite professionell. 3500 Nutzer haben sich mittlerweile auf dem Portal angemeldet. Die Konstellationen sind individuell. Manche Nutzer möchten aktive Co-Eltern sein, manche nur eine Nebenrolle für das Kind spielen. Etwa 40 Prozent der Nutzer sind heterosexuell.

„Dass unsere Idee Co-Parenting heißt, habe ich erst später mitbekommen“, erzählt Wagner. In den USA existieren solche Internet-Vermittler nämlich schon etwas länger. Dass es Kritiker gibt, die von einer egoistischen Einstellung sprechen, ist der Ärztin durchaus bewusst. „Aber viele Menschen befürworten das Projekt“, betont Wagner. Sie ist der Meinung: Familie ist da, wo Kinder sind.

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