Tirol

Wenn Liebe zum Wahn wird: Hunderte Tiroler von Stalking betroffen

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331 Tiroler wurden in den vergangenen eineinhalb Jahren beharrlich verfolgt. Was beim Opfer oft massive psychische und physische Beeinträchtigungen hinterlässt, ruft beim Täter oft nicht einmal Unrechtsbewusstsein hervor.

Von Renate Perktold

Innsbruck – Jenny L. wollte eigentlich nur ihre Ruhe. Keine nächtlichen Anrufe mehr, keine SMS, keine Liebesbekundungen: Als sich die 45-Jährige von ihrem Freund getrennt hat, hoffte sie auf einen sauberen Schnitt. Stattdessen begann für die Münchnerin ein jahrelanges Martyrium. Ihr Ex-Freund lauerte ihr auf, schrieb Hunderte Nachrichten, beobachtete sie. Anzeigen bei der Polizei, Betretungsverbote, Kontaktsperren: All das ignorierte der Architekt geflissentlich.

Heute ist Jenny L. tot. Erstochen Mitte August vor ihrer eigenen Haustür in der bayerischen Hauptstadt. Ihr Stalker ist seither auf der Flucht – er steht unter dringendem Tatverdacht.

331 Fälle in eineinhalb Jahren in Tirol

Was Jenny L. jahrelang durchleben musste, kommt auch in Tirol immer wieder vor. „Zwischen 1. Jänner 2015 und Ende August 2016 gab es in Tirol 331 Stalking-Fälle. Im Vorjahr wurden 445 Betretungsverbote ausgesprochen, auch wegen beharrlicher Verfolgung“, weiß Roland Schweighofer, stellvertretender Leiter der Abteilung Kriminalprävention im Tiroler Landeskriminalamt. Seit genau zehn Jahren ist Stalking ein strafrechtlich relevanter Tatbestand. „Wer eine Person widerrechtlich beharrlich verfolgt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen“, steht im Strafgesetzbuch. Ein Strafrahmen, der viele Täter aber nicht abschreckt, wie Eva Pawlata, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol aus ihrer täglichen Arbeit mit den Opfern weiß. 74 reine Stalking-Fälle betreuten sie und ihre Mitarbeiter im vergangenen Jahr.

„Viele lassen sich bei uns beraten, trotzdem gibt es wenige verurteilte Stalker. Es ist fraglich, was eine Strafe bewirken kann, die so niedrig bemessen ist“, gibt die Expertin zu bedenken. Die niedrige Anzahl an Verurteilungen sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass das Delikt so speziell und eine Dokumentation schwierig sei. Zwar wäre die Polizei mittlerweile sehr sensibel auf das Thema geschult und auch die Justiz würde angemessen auf Fälle vor Gericht reagieren. „Ich bin aber der Meinung, das Stalking generell immer noch verharmlost wird“, so Pawlata.

Von der Beziehung in die Stalking-Hölle

Oft kommt beim Stalking noch dazu, dass sich die Opfer lange nicht zur Polizei trauen. „Das ist in etwa mit Gewalt in der Familie vergleichbar. Ich kenne niemanden, der so etwas gleich beim ersten Mal zur Anzeige bringt. Sei es, weil es Hemmungen gibt oder weil es zunächst gar nicht als Stalking erkannt wird“, erklärt Schweighofer. „Man gibt sich selbst die Schuld oder es sind auch gemeinsame Kinder im Spiel. So vergehen Wochen, Monate oder sogar Jahre.“

In sehr vielen Fällen entstünden Stalking-Fälle aus vorangeganenen Beziehungen, meist aus Partnerschaften, aber auch aus familiären Konstellationen. Weit seltener sei das Fremd-Stalking, also dass man von völlig fremden Personen beharrlich verfolgt werde, ergänzt Pawlata. „Stalker haben ihre eigene psychische Dynamik und wissen meist selbst nicht, dass das strafrechtlich relevant ist, was sie tun.“ Oder – wie Schweighofer es formuliert: „Sie geben die Schuld immer den anderen.“

Für die Opfer bedeutet die beharrliche Verfolgung oft eine monate- oder jahrelange psychische Ausnahmesituation, der sie sich nicht so leicht entziehen können. Die Ungwissheit erzeugt Angst – eine psychische Gewaltsituation. Selbst mit einer Anzeige oder einem Gerichtsurteil hört das Martyrium manchmal noch nicht auf. „Jeder Täter ist anders. Wenn der Stalker einsieht, dass er etwas falsch gemacht hat, dann hört das Stalking oft auf. Andere wiederum lassen sich nicht einmal durch einen Richter abschrecken“, sagt Pawlata.

Dokumentation ist das Wichtigste

Es kann auch passieren, dass der Stalker seine Art der Verfolgung ändert, wenn das Opfer auf seine Verfolgung reagiert: „Wenn man zum Beispiel seine Nummer ändert, kann es passieren, dass der Verfolger plötzlich vor der Tür steht, obwohl er sich vorher damit zufrieden gegeben hat, nur Nachrichten zu schicken.“ Weiters sei auch nicht zu unterschätzen, dass die psychische Gewalt in physische umschlagen könne.

Polizei und Experten vom Gewaltschutzzentrum raten den Betroffenen, jeglichen Kontaktversuch des Stalkers zu dokumentieren. „Das mag im Einzelnen wie eine Lappalie erscheinen, aber in Summe kommt viel zusammen. Eine chronologische Auflistung ist deshalb nötig, weil es später vor Gericht sonst sehr schwierig wird, gegen den Verfolger vorzugehen“, erklärt Schweighofer.

Auch wenn es gerade am Anfang verführerisch sei, sollte man den Tätern keineswegs antworten oder auf ihre Nachstellung reagieren. „Mails sollen wenn möglich direkt an uns weitergeleitet werden. Außerdem sollte man sich eher ein Zweithandy zulegen, als die Nummer einfach zu wechseln – denn wenn man seine Nummer ändert, verliert man viele Beweise“, so Pawlata.

Schneller als eine Anzeige sei außerdem, ein Kontaktverbot bei Gericht durchzusetzen. Allerdings sind auch hierfür Beweise für die beharrliche Verfolgung vorzulegen. Traurigerweise endet das Verfolgen oft erst, wenn der Täter eine neue Beziehung findet. Und manchmal – wie im Fall von Jenny L. – entlädt sich die jahrelange Nachstellerei in einem grausamen Gewaltverbrechen.

Anti-Stalkinggesetz

Seit dem 1. Juli 2006 ist das „Anti-Stalkinggesetz“ (§ 107a Strafgesetzbuch, Tatbestand der „beharrlichen Verfolgung“) in Kraft. „Stalking“ im juristischen Sinn bedeutet, wenn ein Täter das Leben des Opfers unzumutbar beeinträchtigt und das Verhalten über längere Zeit hindurch fortgesetzt wird.

Dies geschieht dadurch, dass der Stalker entweder:

• immer wieder die räumliche Nähe zu seinem Opfer sucht,

• mithilfe von Telekommunikation oder durch sonstige Kommunikationsmittel oder durch Dritte den Kontakt zum Opfer herstellt,

• unter Verwendung der persönlichen Daten des Opfers Waren oder Dienstleistungen in dessen Namen bestellt oder

• unter Verwendung der persönlichen Daten des Opfers Dritte dazu verleitet, mit dem Opfer Kontakt aufzunehmen.

Gegen Stalkerinnen/Stalker kann man mittels Wegweisung, Betretungsverbot oder Festnahme reagieren.

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